: Aussehen ist eine Wissenschaft für sich
RÄUME DER MODE Im Kulturforum untersuchte eine Tagung das Verhältnis von Mode, Mensch und Raum. Auch hierzulande ist Modetheorie eine ernst zu nehmende Disziplin, wenngleich mit Distanz zur Modebranche
VON DIANA WEIS
„Das Phänomen der Mode hat bisher noch keine befriedigende Erklärung gefunden“, stellte der amerikanische Soziologe Thorstein Veblen 1899 in seinem Buch „Theorie der feinen Leute“ fest. Veblen war damit einer der ersten Wissenschaftler, der im zyklischen Wandel der westlichen Bekleidung einen ebenso aufschlussreichen wie faszinierenden Forschungsgegenstand erkannte.
In der vergangenen Woche fand im Kulturforum Berlin die Tagung „Die Räume der Mode“ statt, um das Verhältnis zwischen Körper, Kleid und Raum zu diskutieren. Die Beschäftigung mit der Mode hat sich mittlerweile als eigenständige akademische Disziplin etabliert, auch wenn die Modetheorie, wie das Forschungsfeld sich in Anlehnung an die seit den 1970er-Jahren an US-amerikanischen Universitäten entwickelte „Fashion Theory“ nennt, an deutschen Hochschulen vielfach noch als belächeltes Exotenfach gilt.
Dekoratives Beiwerk
Gertrud Lehnert ist Professorin für Literaturwissenschaft an der Universität Potsdam und initiierte die jetzige Modetagung in Berlin. Sie kritisiert die Engstirnigkeit der Wissenschaft, die die Mode mit dem „Gestus der Intellektuellen“ als dekoratives Beiwerk betrachten würden: „Als ich vor 20 Jahren damit anfing, über Mode zu forschen, wurde mir gesagt, das ist doch kein wissenschaftliches Thema.“ Mittlerweile werde die Modetheorie jedoch immer wichtiger. Ein Blick in die aktuellen Vorlesungsverzeichnisse der Berliner Hochschulen belegt dies. Kaum ein kultur- oder geisteswissenschaftlicher Fachbereich, der sich nicht der Mode widmet.
„Es gibt auch Moden der Wissenschaft“, kommentiert Birgit Haase, Design-Professorin aus Hamburg, diese Entwicklung. „Oft kommt es in Umbruchzeiten zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Mode, sie gewinnt in Krisenzeiten an Bedeutung“, sagt sie. Lehnert führt zudem das Konzept des „Self-Fashioning“ an, die aufwendige Inszenierung der eigenen Persönlichkeit sei zu einem gesellschaftlichen Phänomen geworden, das mittlerweile alle Alters- und Einkommensgruppen betrifft.
Die meisten Beiträge stützten sich auf die Auswertung historischer Quellen, aktuelle Themen wie Modeblogs, Streetstyle oder Subkultur wurden jedoch kaum verhandelt. Eine Ausnahme bildet der Vortrag von Alicia Kühl, die selbst schon als Model auf dem Laufsteg stand und sich nun in ihrer Doktorarbeit dem Catwalk als Aufführungsort widmet. „Viele Theoretiker haben Angst vor den Praktikern“, glaubt sie. Tatsächlich zeigt sich im Verlauf der Tagung immer wieder der Kontrast zwischen der Flüchtigkeit der Mode und der Behäbigkeit der wissenschaftlichen Theoriegebäude.
Reizarmer Dresscode
Besonders auffällig wird dieser Widerspruch bei einer Podiumsdiskussion: Die eigens herbeigeeilten Vertreter der Praxis – Blogger, Fotografen und Marketingstrategen – erweisen sich als andere Spezies. Wo die Welt der Wissenschaft einen reizarmen Dresscode in gedeckten Farben bevorzugt, werden hier ungeniert voluminöse It-Bags mit aufs Podium geschleppt und wie Trophäen präsentiert. Die Diskussion versandet bald bei der leidigen Frage, ob Berlin nun Modestadt sei oder nicht. Auch der Vortrag des Fotografen Olaf Martens, auf dessen aufwendig inszenierten Bildern sich kaum bekleidete Models in Industrieruinen räkeln, löst bei der Riege der Gender-Studies Befremden aus. Die zaghafte Publikumsfrage nach dem vermittelten Geschlechterbild wird mit einem Schulterzucken quittiert. That’s business.
Zur Versöhnung kommt es, als das Foyer des Kulturforums sich in einen Laufsteg verwandelt. Studenten der Modeschule AMD präsentieren bei lauter Musik ihre Entwürfe. In der ersten Reihe sitzen Theoretiker und Praktiker nebeneinander vereint – fasziniert von der Verschmelzung von Stoffen und Körpern, Bewegung und Raum.