: Voll aufgedreht über Grenzen
TANZ Mit der deutsch-französischen Jugendtanztheaterproduktion „Atai“ feiern die Young Artists in der Schwankhalle ihr zehnjähriges Jubiläum und animieren zum Mittanzen
VON JENS LALOIRE
Seit zehn Jahren ermöglicht Young Artists, die Nachwuchssparte des Steptext Dance Projects, jungen Tanz- und Theaterbegeisterten, sich in der Kunstform Tanz auszuprobieren und einmal im Jahr eine eigene Produktion zu entwickeln und aufzuführen. Zum Jubiläum gibt es in diesem Jahr ein besonderes Schmankerl: eine deutsch-französische Kooperation im Rahmen des Jugendprojekts „Sans Limites – ohne Grenzen“. Nachdem im Sommer das Ensemble der Young Artists bereits in Paris war, um mit einigen Schülerinnen und Schülern einer Tanzschule erste Ideen zu entwickeln und auszutesten, sind die Pariser nun seit Anfang Oktober in Bremen zu Gast. Gemeinsam haben die jungen Tänzerinnen und Tänzer aus den beiden Ländern innerhalb der vergangenen drei Wochen Choreografien zum Thema Grenzen erarbeitet. Herausgekommen ist dabei die knapp 60-minütige Tanzperformance „Atai“, die am Donnerstagabend in der Schwankhalle uraufgeführt wurde.
Die 14 Darsteller im Alter von 15 bis 21 Jahren setzen sich in ihrer Performance mit Vorurteilen, Rassismus und Gewalt auseinander. Immer wieder werden mit tänzerischen Mitteln Hierarchien und Unterdrückungsmechanismen durchleuchtet: Einzelne kommandieren andere herum, eine weiße Mehrheit stürzt sich auf zwei farbige Mädchen und stößt eine Helferin, die sie verteidigen will, sogleich zu Boden. Schikane wie brutale Szenarien werden regelmäßig in dynamischen Gruppenchoreografien zu voll aufgedrehter Popmusik variiert. Die Ästhetik erinnert dabei hie und da an MTV-Videoclips, das Tempo ist meist hoch, ruhige Momente sind rar. Insgesamt findet sich eine Vielzahl bedrückender Sequenzen, die sich auf Dauer jedoch erschöpfen. Das tänzerische Niveau einiger Akteure ist wiederum erstaunlich, das eine oder andere Solo beeindruckt – allerdings hätte man sich mehr Raum für solche Einzelszenen gewünscht, die häufig neben den Gemeinschaftschoreografien herlaufen und dabei unterzugehen drohen. Man spürt, dass ein wenig die Zeit gefehlt hat, um aus der Collage eine vollauf stimmige Gesamtkomposition mit etwas mehr Abwechslung und Tiefgang zu formen.
Auch Augusto Jaramillo Pineda, der in Bremen die künstlerische und choreografische Leitung innehatte, gesteht, dass er sich mehr Zeit gewünscht hätte. Manchmal sei er frustriert gewesen, da er gespürt habe, dass er in den knapp drei Wochen nicht das ganze Potenzial seiner Darsteller so abrufen konnte, wie er sich das gewünscht hätte. Vor allem da neben dem Zeitdruck noch erschwerend die Sprachbarrieren hinzukamen, weshalb man mit Jana Giebel während der Probenzeit stets eine Übersetzerin dabei hatte.
Dennoch haben die Sprachprobleme den Prozess naturgemäß verlangsamt. „Die Sprache war anfangs eine große Grenze“, sagt Pineda. Das empfand Meggie Isabet, eine der französischen Tänzerinnen, genauso. Zu Anfang sei es schwierig gewesen, mit der Zeit habe es jedoch immer besser geklappt und sie habe gelernt, diese Sprachgrenze weniger als Hindernis wahrzunehmen, denn letztlich sei der Tanz eine wunderbare Möglichkeit, Barrieren zu überwinden.
Das Bewältigen von Grenzen war somit nicht nur Thema der Tanzperformance, sondern vor allem auch in der Arbeit miteinander permanent präsent. Trotz der vielen Hürden hat das gesamte Team angesichts der knappen Zeit Beachtliches auf die Beine gestellt und die Mehrzahl der Zuschauer dermaßen beeindruckt, dass diese nicht nur nach einer Zugabe verlangten, sondern sich zum Mittanzen auf der Bühne animieren ließen.
Während am Wochenende noch zweimal „Atai“ zu sehen ist, wird das Thema „Überwindung von Barrieren im Tanz“ ab dem 30. Oktober in der Schwankhalle von Steptext in anderer Form fortgesetzt – und zwar mit „eigenARTig“, dem Festival für inklusiven Tanz.
■ „Atai“: Samstag & Sonntag, 20 Uhr, Schwankhalle; „eigenARTig“, Festival für inklusiven Tanz: 30. 10. bis 3. 11, Schwankhalle, alle Termine im Internet: www.schwankhalle.de