Schnappschüsse werden Kunst

ARRANGEMENTS Vom Sammeln als künstlerischem Prozess handelt eine Ausstellung im Museum für Photographie in Braunschweig. Als Ausgangsmaterial dienen jeweils analoge Fotografien

Das ästhetische Reservoir der analogen Fotografie scheint alles andere als erschöpft

Für den 28. März 1936 verzeichnet die Chronik der Stadt Braunschweig, dass sowohl das Luftschiff „Graf Zeppelin“ als auch die „Hindenburg“ die Stadt überfliegen. Zwar war zu dem Zeitpunkt der Zenit dieser Mobilitätstechnologie längst überschritten, eine Faszination übten die gigantischen Flugobjekte am Himmel – die „Graf Zeppelin“ war gut 230 Meter lang – aber immer noch aus.

Entsprechend häufig tauchten sie im Sucher der Fotoapparate auf. Deren technischer Fortschritt gestattete es auch Amateuren, leidliche Bilder aufzunehmen. So zieren in der aktuellen Ausstellung „Skies and Seas“ im Braunschweiger Museum für Photographie 240 anonyme Aufnahmen von Zeppelinen aus den Jahren 1924 bis 1937 eine ganze Wand.

Gesammelt und zusammengestellt hat sie Günter Karl Bose, 1951 in Wesermünde geboren, Professor für Typografie und Schrift in Leipzig. Bose geht es nicht um streng wissenschaftliches Archivieren. Er sieht sein Sammeln vielmehr als ein Kombinieren, Zusammenfügen und Gegenüberstellen, das seinen eigenen, vorrangig künstlerischen Kriterien folgt.

Wie Bose nehmen auch die beiden anderen Protagonisten der Ausstellung, der Buchgestalter Helmut Völter und der Künstler Axel Töpfer, das Sammeln historischer Fotografien als Ausgangspunkt. Völter, Jahrgang 1978 und ebenfalls in Leipzig lehrend, erhielt 2006 für seine Diplomarbeit, das „Handbuch der wildwachsenden Großstadtpflanzen“, eine Auszeichnung. In der Ausstellung ist er mit alter naturwissenschaftlicher Fotografie von Wolken vertreten, die er in Kategorien unterteilt: Wolken von fixen meteorologischen Posten am Erdboden aus gesehen, Wolken aus dem Flugzeug, dem Wettersatelliten oder als Filmrarität aus einem japanischen Archiv, das Wolkenzüge zeigt, die das Nationalheiligtum, den Vulkan Fuji, umfächeln.

Das lokale Publikum wird erfreuen, dass auch ein Ahnherr der geodätischen Forschung an der TH Braunschweig zu Ehren kommt: Carl Koppe, 1881 berufen, vermaß die Gotthardt-Bahn, nahm 1868 an der Sonnenfinsternis-Expedition nach Ostindien teil und veröffentlichte 1896 ein Werk zur Photogrammetrie und internationalen Wolkenmessung.

Völters Part in der Ausstellung bleibt der akademisch verhaltenste. Im Juni erscheint sein Buch „Wolkenstudien“ – für sein Thema vermutlich die angemessenere Präsentationsform.

Völlig frei geht dagegen Axel Töpfer, geboren 1977 und gleichfalls der Typografieklasse Boses entsprungen, mit seinem Bildmaterial um. Rund 50 bunte japanische Postkarten aus den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, übers Internet hauptsächlich aus den USA erstanden, lässt er mittels eines filigranen Stabwerks durch die Räume mäandern. Wie Sequenzen eines Films ergänzen sich die Motive zu Erzählsträngen – vom Teepflücken, dem Fischfang oder glühend roten Lava-Ergüssen.

Viele der Karten sind Originalabzüge, einige teils starkfarbig handkoloriert. Sie zeigen wohl am anrührendsten die handwerkliche Dimension der analogen Fotografie, die sich heute ihrem technischen Ende zuneigt. Ihr ästhetisches Reservoir jedoch scheint alles andere als erschöpft – vorausgesetzt, man befreit sie vom Korsett trockener, disziplinen-historischer Inventarisierung. BETTINA MARIA BROSOWSKY

„Skies and Seas“: bis 20. Juni, Museum für Photographie Braunschweig