: Ist Hungerstreik Erpressung?
WIDERSTAND In Berlin haben die Flüchtlinge ihren Protest beendet. Jetzt hungern Insassen der JVA Rosdorf für bessere Haftbedingungen – und in Sotschi hat sich ein Mann den Mund zugenäht, um gegen Ausbeutung zu demonstrieren
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Christoph Hillenbrand, 56, CSU, ist Regierungspräsident von Oberbayern
Hungerstreik erscheint – bei aller Achtung des Rechts auf freie Meinungsäußerung – als kein geeignetes Instrument, ultimativ rechtliche Forderungen durchzusetzen, wie das etwa im Sommer 2013 am Münchner Rindermarkt versucht wurde. Die Forderung des Verhandlungsführers war damals die bedingungslose sofortige Anerkennung der Hungerstreikenden als Asylbewerber; bloße humanitäre Bleiberegelungen lehnte er als unzureichend ab. Das kann und darf unser Staat auf der Grundlage der hier geltenden staatlichen Rechtsordnung ohne weitere Prüfung nicht erfüllen. Letztlich kann nicht überzeugen, dass diejenigen, die in Deutschland den Schutz der hier geltenden demokratischen Rechtsordnung suchen, für sich beanspruchen, außerhalb dieser Rechtsordnung behandelt werden zu wollen. Unabhängig davon haben Stadt wie Land ständig das klärende und vermittelnde Gespräch gesucht sowie alles Vertretbare unternommen, um Leben wie Gesundheit der „trocken Hungerstreikenden“ zu schützen.
Tim Leuther, 28, ist taz-Leser und hat unsere Streitfrage per Mail kommentiertEs ist naiv zu glauben, dass ein Nachgeben bei solchen Forderungen nicht zu Nachahmern führen wird, falls das nicht schon längst geschehen ist. Wenn Hungerstreiks in Asylangelegenheiten immer häufiger vorkommen, droht die Nahrungsverweigerung Stück für Stück zu einem Antragsbeschleunigungsverfahren und einem Härtefallprüfungsgrund zu werden. Dass viele Antragssteller verzweifelt sind, liegt in der Natur der Sache. Es liegt ebenfalls in der Natur der Sache, dass Antragsprüfungen dauern – und auch, dass Anträge abgelehnt werden. Räumt man nun allerdings medial präsenten Demonstranten Sonderrechte ein, werden sich immer mehr Menschen, die sich in schwierigen Situationen befinden, in Hungerstreiks begeben. Zulasten ihrer Gesundheit, der anderen Antragssteller und dem Rechtsstaat.
Günther Jonitz, 55, ist Chirurg und seit 1999 Präsident der Ärztekammer in Berlin
Ich halte Hungerstreik für kein sinnvolles Mittel, um politische Forderungen durchzusetzen. Mit der Verweigerung zu trinken und zu essen wird der Körper in eine Extremsituation gebracht, die lebensbedrohlich werden kann. Für die betreuenden Ärzte bedeutet diese Protestform eine riskante Ausnahmesituation. Der Protest der Flüchtlinge, die für ihre Forderungen bis zum Äußersten gehen, macht allerdings deutlich, dass diese Menschen wenig zu verlieren haben. Die Politik sollte sich also veranlasst sehen, weiter den Dialog mit ihnen zu führen und nach Lösungen zu suchen.
Uwe Bülau, 57, ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft Strafvollzug in Sachsen-Anhalt
Der Alltag in einer Justizvollzugsanstalt ist durch gesetzliche Vorgaben schwammig geregelt – wie überall, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, aber nötig: Enge erfordert Hygiene, wenn Gesundheitsschutz gewährleistet werden will. Nun liegt es in der Natur der Sache, das kennen wir von Kindern, dass ausgetestet wird, wie weit sich Grenzen aufweichen lassen: In der JVA Rosdorf versuchen Sicherheitsverwahrte die Behörde per Hungerstreik zu zwingen, ihnen mehr Freiräume zuzugestehen – mit der Argumentation, sie seien ja keine Gefangenen. Andere Gefangene versuchen mit einem Hungerstreik etwa zu erreichen, statt in der vorgeschriebenen Einzel- in eine Gemeinschaftsunterbringung verlegt zu werden. Die Verantwortung aber, dass keine gesundheitlichen Schäden bei ihnen auftreten, bleibt am Personal hängen.
Ghlam Vali, 37, Asylbewerber aus Pakistan, war Hungerstreikender in Berlin
Wir kämpfen dafür, dass jeder das Recht bekommt, sich im Land zu bewegen, die Sprache zu lernen und zu arbeiten. Das sind laut UN elementare Menschenrechte. Wir sind keine Kriminellen, werden aber hier wie Gefangene behandelt. Es wird eine Mauer zwischen Staatsbürgern und Nichtstaatsbürgern gezogen. Das ist ein Schlag ins Gesicht. Wir wollen nicht still in den Lagern sterben – wir wollen die Menschen konfrontieren. Dass Menschen zurückgeschafft werden, die ihr Leben hierher retten konnten, ist ein unterdrückerisches Instrument. Wir sind die Unterdrückten der Gesellschaft.
Paula Rösler, 24, ist taz-Leserin und hat die sonntaz-Streitfrage per Mail kommentiert
Ich habe gerade zu Mittag gegessen. Wieder mal nicht viel Zeit gehabt. Habe mich im Supermarkt spontan für einen Bulgursalat aus dem Kühlregal entschieden – nichts Tolles, aber Hauptsache etwas im Magen. Es ist doch ein stinknormaler Automatismus: Wenn der Hunger kommt, wird gegessen. Was muss in einem Menschen vorgehen, der aufhört zu essen? Wie fühlt sich der Hunger nach einem Tag, nach drei Tagen, nach einer Woche an? Und vor allem: Wie hält man das aus? Wer aus politischem Protest hungert, trägt definitiv mit sich selbst den härtesten Kampf aus. Einen Hungerstreik als illegitim abzutun, gar von Erpressung zu sprechen – als gehe es um ein stupides Machtspielchen – ist nicht nur ignorant, sondern auch feige. Stattdessen sollten die Adressaten des Protestes bei jeder Mahlzeit in sich gehen und darüber nachdenken, was es eigentlich bedeutet, für seine Grundrechte zu hungern. Ein Hungerstreik bedeutet: Bis hierher und nicht weiter.
Hakan Taș, 47, ist flüchtlingspolitischer Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus Der Hungerstreik der Flüchtlinge in Berlin war Ausdruck einer höchst verzweifelten Situation. Die Menschen haben keine andere Möglichkeit gesehen, um sich Gehör zu verschaffen. Hungern war ein letztes Mittel, um grundlegende Menschenrechte zu erstreiten. Die Zusagen, die letztendlich vom Bundesamt für Migration, vom SPD-Abgeordneten Veit und von der Senatorin Kolat gegeben wurden, sind so minimal, sie hätten auch ohne Hungerstreik zustande kommen können und müssen. Die Zusagen sind zu begrüßen, die Verzögerung zeigt aber, dass die Politik eher bereit war, die Gesundheit dieser Menschen aufs Spiel zu setzen, als auf die berechtigten Forderungen der Flüchtlinge einzugehen. Wir müssen weg von der Abschreckungspolitik und Menschen in Notlagen schützen.
Elke Wooning, 58, trat für ihre Gärtnerei in Pulheim in einen 40-tägigen HungerstreikIch wollte niemanden erpressen – ich bin kein verbitterter Mensch. Die Politiker sollten durch meinen Hungerstreik darauf aufmerksam werden, dass sie durch die Baustelle am Kreisverkehr mein Geschäft ruinieren. Wir waren für die Kunden nicht mehr erreichbar. Die Bauarbeiten haben Wochen gedauert – der Schaden beträgt etwa 50.000 Euro. Ich hatte keine andere Möglichkeit mehr – niemand wollte die Verantwortung übernehmen. Die 40 Tage Hungerstreik waren symbolisch, ich habe nur Wasser oder Tee getrunken. Mir ging es nicht schlecht, ich konnte arbeiten. Nur das Radfahren musste ich sein lassen, dazu fehlte mir die Kraft. Der Hungerstreik hat mir vor allem geholfen, nicht tatenlos eine Opferrolle einzunehmen. Viele Menschen haben mich daraufhin besucht, der Petitionsausschuss Düsseldorf war auch bei mir – die haben die Gärtnerei wegen der Baustelle beinahe nicht gefunden. Leider habe ich bis heute keine Entschädigung erhalten.