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Archiv-Artikel

Die Arbeit an der Geschichte

GEDENKVORTRAG Anlässlich des 80. Jahrestags der Auflösung des Landesparlaments sprach Historiker Norbert Frei in der Bremischen Bürgerschaft – und warnte vor einer bloßen „Nie wieder!-Rhetorik“

„Wir müssen selbstkritisch mit der eigenen Arbeit umgehen“

PROF. NORBERT FREI, HISTORIKER

Am 14. Oktober 1933 wurde die Bremische Bürgerschaft gemeinsam mit den anderen deutschen Landtagen aufgelöst. Dies war das formale Ende der ersten deutschen Demokratie und ein wichtiger Schritt der Entwicklung zum faschistischen Staat.

Um an das Datum und seine Vorgeschichte zu erinnern, hielt Historiker Norbert Frei am Freitag einen Vortrag in der Bürgerschaft. Er betonte dabei den Anspruch von Forschung, nicht schlichte Negation zu betreiben, die er im späteren Verlauf der Diskussion als „Nie wieder!-Rhetorik“ kritisierte.

Frei, Geschichtsprofessor an der Uni Jena, war Mitarbeiter der unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte des Auswärtigen Amts. Er hat zahlreiche Bücher über den Nationalsozialismus geschrieben. Für den Historiker ist die Wiedergabe der Fakten natürlich zwingende Voraussetzung, ebenso wichtig sei es aber, anschließend „mit und an der Geschichte zu arbeiten“.

Die Grenzen seien allerdings fließend. Die Nazis hätten großen Wert darauf gelegt, ihre Handlungen als „Zeitenwende“ zu inszenieren. Goebbels habe politische Aktionen zum historischen Augenblick stilisiert und die Parteimärsche live im Rundfunk übertragen lassen. Das hat auch in Bremen gewirkt, wo die Böttcherstraße ein bis heute sichtbares Symbol für das Bestreben nach dem völkischen Umbruch ist.

Die zentralen politischen Elemente der „Faschisierung des öffentlichen Lebens“ seien die sogenannte Reichstagsbrandverordnung und die Gleichschaltungsgesetze gewesen: Presse, Parteien und Gewerkschaften wurden verboten oder in die Organisationsstrukturen der NSDAP überführt.

Die Abläufe seien allerdings komplexer gewesen, als heute oft angenommen. Schon damals hätten politisch gebildete Zeitgenossen den Ernst der Lage nicht immer erfasst. So habe Hitler für die Bremer Volkszeitung, das Presseorgan der SPD, als „Kanzler von Barons Gnaden“ gegolten, eine Episode nach Brüning, von Papen und von Schleicher.

Nach 1945 seien die Einschätzungen zunächst irritierend gewesen: Die Erforschung der Rollen alter Eliten und Hitlers konservativer Bündnispartner sei von persönlichen Interessen der Historiker verstellt gewesen, erläutert Frei die Debatten um den deutschen Sonderweg oder den Begriff der „Machtergreifung“. Aber auch heute, zu Zeiten der dritten unter demokratischen Verhältnissen geborenen Generation, warnte Frei vor „kurzschlüssigen Bezugnahmen“ auf den NS.

Phänomene wie die viel beklagte „Politikverdrossenheit“, aber auch die neuen rechtsextremen Bewegungen in Europa seien nicht auf Parallelen mit der Situation in Weimar zu reduzieren. Es sei ein deutscher Reflex, diese Entwicklungen aus der eigenen Geschichte abzuleiten. „Das schreckt viele junge Menschen nur noch ab“, betonte Frei.

Die „Nie wieder!-Rhetorik“ verhindere die gründliche Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen. Gerade diese sei aber notwendig, wie das Scheitern der „Konfrontationspädagogik“ der 80er-Jahre zeige. Auch die grundsätzlich gelungene Arbeit mit Zeitzeugen sei bald nicht mehr möglich. „Historiker und Pädagogen müssen selbstkritisch mit der eigenen Arbeit umgehen“, so Frei. Dabei sei zu „berücksichtigen, dass die jüngeren Menschen heute kaum noch über das Wissen verfügen, das in den 90er-Jahren vorausgesetzt werden konnte“.

Jan-Paul Koopmann