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Archiv-Artikel

Schlichte Rechnung

Immer weniger Hauptschüler ergattern eine Lehrstelle und steuern schulische Weiterbildungsgänge an. Jetzt beschränkt der Hamburger Senat den Zugang zu den Berufsfachschulen – und schickt damit vor allem Migranten in die Arbeitslosigkeit

von Eva Weikert

Angesichts der Krise auf dem Lehrstellenmarkt und des gestiegenen Anspruchs der Berufe gehen vor allem Hauptschüler bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer aus. In Hamburg endet ein Fünftel eines jeden Hauptschülerjahrgangs in der Dauerarbeitslosigkeit. Diese Entwicklung droht sich jetzt zu verschärfen. Denn der CDU-Senat will zum Herbst den Zugang zu alternativen Ausbildungsmöglichkeiten beschränken.

Jugendliche, die keine Lehrstelle finden, können stattdessen berufsvorbereitende Bildungsgänge antreten. Schon seit Jahren befinden sich konstant zwischen 8.000 und 12.000 junge Hamburger in solchen Maßnahmen. Rund 3.800 Jugendliche in der Stadt besuchen zurzeit eine so genannte teilqualifizierende Berufsfachschule. An diesen Schulen werden berufliche Kompetenzen vermittelt, die bei einer späteren dualen Ausbildung angerechnet werden können. Zugleich qualifizieren sich die Schüler durch den Realschulabschluss weiter und erhöhen so ihre Chancen, einmal einen Job zu bekommen.

Schwelle für Migranten

Nach einem Senats-Beschluss wird zum kommenden Schuljahr der Numerus Clausus (NC) für diese Schulform angehoben und eine Altersgrenze von 20 Jahren gezogen. Wie die GAL-Bürgerschaftsfraktion errechnete, werden dadurch nahezu 2.000 Schüler eines Jahrgangs aussortiert. Ausgesiebt werden vor allem Migranten, die die Hälfte der bisherigen Schülerschaft stellen. Denn der NC bezieht sich neben Englisch und Mathe auf das Fach Deutsch.

Der Senat begründet seine „Reform“ mit der hohen Abbrecherquote an den Berufsfachschulen, die bei nahezu 50 Prozent liegt. Wer an der neuen Notenschwelle scheitert, der „ist aufgefordert, sich um eine duale Berufsausbildung zu bewerben“, so das Rathaus. Konkret wird den Gescheiterten die Teilnahme an einem so genannten Ausbildungsvorbereitungsjahr offeriert. Das endet jedoch ohne einen formalen Abschluss.

Hans-Günther Dittrich, Schulleiter an der Gewerbeschule 6, warnt, das Angebot biete „keine Perspektive, weil vollkommen ungeklärt ist, was danach mit den Jugendlichen passiert“. Den Absolventen bleibe nur „Arbeitslosigkeit oder herum zu jobben“. Auch der Pädagoge drängt, aufgrund der hohen Abbrecherquote sei eine Reform der Berufsfachschule „dringend notwendig“. Die Schulbehörde habe aber versäumt, die Probleme vor Ort zu analysieren. „Nur den NC zu erhöhen“, sagt Dittrich, „ist eine relativ schlichte Idee.“

Aktuell sind elf Prozent der Hamburger Jugendlichen arbeitslos, überproportional viele stammen aus Zuwandererfamilien. Wie aus einer Senats-Antwort auf eine große Anfrage der GAL-Fraktion hervorgeht, nahm die Zahl der Absolventen einer Lehre in den vergangenen zehn Jahren stark ab: Sie sank um mehr als zwölf Prozent von 13.557 im Jahr 1995 auf 11.885 in 2005. Der Ausländer-Anteil an den Jugendlichen mit einem Berufsabschluss hat sich sogar fast halbiert: von 14,8 auf 7,9 Prozent.

Kammern sollen prüfen

Angesichts der besonders aussichtslosen Situation von jungen Migranten hat Bürgermeister Ole von Beust (CDU) jetzt einen „Aktionsplan“ ins Leben gerufen. Ein Pakt mit der Wirtschaft soll für Kinder aus Einwandererfamilien bis Ende 2007 bis zu 1.000 Ausbildungs- und Arbeitsplätze in Unternehmen und Betrieben bringen (taz berichtete).

Allein auf die duale Ausbildung zu setzen, sei der „falsche Weg“, warnt die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der GAL-Fraktion, Gudrun Köncke. Sie fordert den Senat auf, staatliche Angebote zu entwickeln, um den Lehrstellenmangel aufzufangen. Statt die Berufsfachschule zu verkleinern, so die Grüne, müsse sie weiterentwickelt werden – zur voll qualifizierenden Lehrstätte, die mit einem anerkannten Berufsabschluss beendet wird. Die Ausbildung könne in Kooperation mit Betrieben erfolgen und beispielsweise Bürokaufleute, Holzwirte und Recycling-Fachleute hervorbringen. Auch die Bildungspolitikerin der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Britta Ernst, plädiert dafür, die schulische Berufsausbildung mit abschließender Kammerprüfung auszubauen, „damit die Jugendlichen nicht nur Warteschleifen durchlaufen“.

Andere Länder sind weiter

Gesetzlich ist das längst möglich. Mit Zustimmung Hamburgs trat am 1. April 2005 das neue Berufsbildungsgesetz in Kraft. Den Ländern wird darin die Möglichkeit eingeräumt, Absolventen vollzeitschulischer Bildungsgänge zur Kammerprüfung zuzulassen. Rechtsverordnungen dazu sind in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen und Rheinland-Pfalz in Arbeit.

Der Hamburger Senat hat dagegen bisher keine Initiative gezeigt. Die Schulbehörde sei mit Handels- und Handwerkskammer über das Thema aber „im Gespräch“, versichert Behördensprecher Alexander Luckow, „Ergebnisse liegen zur Zeit noch nicht vor.“