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Archiv-Artikel

Treffen sich 100.000 Christen

ÖKUMENE Missbrauch, Krise, Ökumene und ein raues Klima untereinander – neben den großen Themen des Kirchentages bleibt für den Dialog mit anderen Religionen wenig Platz

Die wenigen Veranstaltungen zum Thema Missbrauch werden wohl überlaufen sein

AUS BERLIN PHILIPP GESSLER

Was war das für eine Aufregung! Schon Wochen vor dem ersten Ökumenischen Kirchentag 2003 geisterte durch die Medien der Plan eines gemeinsamen Abendmahls von Katholiken und Protestanten auf dem großen Christentreffen in Berlin. Kirchenkritische Gruppen hatten angekündigt, am Rande des Kirchentages diesen Affront gegen die katholische Kirchenführung zu begehen.

Tatsächlich fanden die beiden Gottesdienste begleitet von einer großen Medienpräsenz statt. Die daran teilnahmen, erzählen, es habe bewegende Momente gegeben. Die zuständigen katholischen Bischöfe aber reagierten knallhart: Die beteiligten katholischen Priester wurden streng gemaßregelt. Auf das bewegte Treffen von über 200.000 einfachen Christinnen und Christen der beiden Volkskirchen war ein mächtiger Schatten gefallen.

Deshalb war klar: Ein gemeinsames Abendmahl würde es bei dem heute in München beginnenden zweiten Ökumenischen Kirchentag nicht geben, weder im offiziellen Programm noch am Rande. Weil man nicht wieder das große Glaubensfest durch diese Frage bestimmt sehen wollte, aber auch, um nicht wieder katholische Priester zu halb freiwilligen, halb unfreiwilligen Opfern der Kirchenoberen zu machen.

Zu der fehlenden Spannung im Vorfeld der Veranstaltung passt, dass weniger Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet werden als vor sieben Jahren in Berlin. Die Organisatoren, der Evangelische Kirchentag und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, rechnen mit mindestens 100.000 Gästen. Ist das ein Zeichen, dass die Christen sich hierzulande nicht mehr allzu sehr für Ökumene interessieren?

Die Masse an Veranstaltungen zum Thema Ökumene spricht nicht für diese Annahme: Schätzungen von Rüdiger Runge, dem evangelischen Pressesprecher des Ökumenischen Kirchentages, zufolge gibt es auf den knapp 3.000 Veranstaltungen in München mehrere hundert zu Fragen der Ökumene.

Und es gibt immer noch einiges zu besprechen: Da ist das Papstschreiben „Dominus Iesus“ aus dem Jahr 2000, das den protestantischen Kirchen ihren Status als Kirche absprach – ein Papier, das der heutige Papst Benedikt XVI. sogar unnötigerweise noch einmal bestätigte. Das Schreiben schmerzt nicht nur die Landesbischöfe der protestantischen Kirchen noch beträchtlich.

Hinzu kam im vergangenen Herbst ein interner Text aus der Zentrale der Evangelischen Kirche in Deutschland in Hannover über die katholische Konkurrenz. Ziemlich abschätzige Bemerkungen fanden sich darin zur Lage der katholischen Kirche in Deutschland und zu Robert Zollitsch, dem Erzbischof von Freiburg und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Das hat auf der anderen Seite doch ein wenig weh getan.

Keine Frage: Das ökumenische Klima ist seit dem letzten gemeinsamen Kirchentag rauer geworden, und es wird spannend sein zu sehen, ob die in München versammelten „Laien“ ihren Kirchenoberen in dieser Hinsicht wieder etwas Dampf machen können. Oder ob der gelegentlich anzutreffende Frust, ja der Rückzug in die eigene Konfession zugenommen hat. Eine große Vesper nach orthodoxem Ritus an tausend Tischen mit gemeinsamem Essen gesegneten Brotes auf dem Odeonsplatz in München soll am Freitagabend zumindest für ein Bild der ökumenischen Verbundenheit sorgen.

In jedem Fall steht zu erwarten, dass der Missbrauchsskandal der vergangenen Monate eine große Rolle in den Diskussionen, Gebeten und Meditationen auf dem Kirchentag spielen wird. Es gibt zwar nur gerade einmal eine Handvoll Veranstaltungen direkt zum Thema, was aber, wie die Organisatoren versichern, vor allem der langen Vorlaufzeit bei der Planung der Veranstaltung geschuldet ist. Und absehbar ist auch, dass die Veranstaltungen zum Thema Missbrauch überlaufen sein dürften.

Dennoch: Der große Aufstand gegen die (katholische) Führung ist auf diesem Kirchentag kaum zu erwarten – vor allem weil es ja die „Laien“ sind, die sich hier treffen, die Wut, die Scham und die Empörung über den Skandal werden also kein direktes Gegenüber in München finden, von den paar anreisenden Bischöfen mal abgesehen. Aber ein Stimmungsbarometer auch in dieser Frage wird der Kirchentag sicherlich sein.

Diese beiden schweren Themen, die Ökumene und der Missbrauchsskandal, dürften also den Kirchentag in München bestimmen. Und dennoch wird man vor allem den christlichen Glauben über die Konfessionsgrenzen hinweg zu feiern wissen. Die Themen Krieg in Afghanistan und die Krise der Finanzmärkte werden intensiver diskutiert werden, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie die Menschen noch so bewegen werden, wie es noch am Anfang des Jahres schien. Insofern hat der Missbrauchsskandal doch schon jetzt den Kirchentag geprägt – zumal am Freitag nun auch erstmals gegen einen katholischen Oberhirten, den vormaligen Augsburger Bischof Walter Mixa, Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts sexuellen Missbrauchs begonnen haben.

Und leider ist zu befürchten, dass auch dieses Mal die Nabelschau der Christen wie schon beim ersten gemeinsamen Glaubensfest im Vergleich zur Auseinandersetzung mit den anderen Religionen und Kulturen dominieren wird. Es sieht nicht danach aus, dass diese neuen Wege des intensiveren Dialogs mit den anderen Religionen in München so häufig gegangen werden, wie es erforderlich wäre. Vielleicht wird man dafür ja auf den dritten Ökumenischen Kirchentag warten müssen. Wenn es denn in sieben Jahren wieder einen gibt.