: Ökofeind Uruguay
Argentinien verklagt den Nachbarstaat in Den Haag. Grund sind dessen umweltfeindliche Zellulosefabriken
PORTO ALEGRE taz ■ Der Streit um den Bau von zwei Zellulosewerken in Uruguay geht in eine neue Runde. Am Donnerstag hat Argentinien beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag Klage eingereicht. Uruguay verletze ein bilaterales Abkommen aus dem Jahr 1975, argumentiert die argentinische Regierung.
Gestern ließ sich Präsident Néstor Kirchner in Gualeguaychú feiern. Die argentinische Kleinstadt am Río Uruguay ist zum Symbol für Widerstand gegen umweltfeindliche Großprojekte geworden. Vor einem Jahr demonstrierten 40.000 Menschen an der internationalen Brücke, einem von drei Grenzübergängen zwischen den Nachbarländern. Am vergangenen Sonntag waren es doppelt so viele. Dazwischen liegt ein Lehrstück der Globalisierung.
Die Fabriken der Konzerne Ence aus Spanien und Botnia aus Finnland, die Ende 2007 auf der anderen Seite des Ufers die Arbeit aufnehmen sollen, bilden den weltweit größten Komplex dieser Art: 1,5 Millionen Tonnen Zellstoff jährlich sollen dort produziert und vollständig exportiert werden, im Falle Botnias an Papierfabriken in Europa, China und Nordamerika.
Allein in Deutschland gehören den Botnia-Gesellschaftern UPM und M-Real sieben Papierfabriken, ein Sechstel der deutschen Gesamtproduktion. Ein Adressat für uruguayische Eukalyptuszellulose, den Rohstoff für Kopierpapier und holzfreie Druckpapiere, wird das UPM-Werk Nordland im Emsland.
Die Argentinier fürchten um ihre Gesundheit und um ihre wichtigste Einnahmequelle: Der Gestank der Fabriken könnte die Urlauber vertreiben, die den Badeort jeden Sommer aufsuchen. Am anderen Ufer zieht das Arbeitsplatzargument. „Es ist besser, irgendwann an den Folgen der Verschmutzung zu sterben als heute an Hunger“, sagt María Esther Cruz aus Fray Bentos. Zwei ihrer Söhne und ein Schwiegersohn arbeiten auf der Botnia-Baustelle. Die Umweltbehörden hätten die Lage im Griff, behauptet der Bürgermeister. Die Multis versichern, die Fabriken erfüllten strenge EU-Standards.
Der Biologe Horacio Melo wendet ein: „Technik, die in Finnland funktionieren mag, kann auf unser Ökosystem verheerende Auswirkungen haben.“ Mit diesem Argument forderte Néstor Kirchner zuletzt einen dreimonatigen Baustopp, um weitere Studien abzuwarten. Als sein Kollege Tabaré Vázquez Einlenken signalisierte, sprang die Botnia-Firmenleitung in die Bresche und pochte auf Erfüllung der Verträge. Die Spanier gaben sich diplomatischer, aber auch sie halten an den Plänen fest.
Uruguayischen Aktivisten macht vor allem die Ausweitung der Eukalyptusplantagen Sorgen, die den Rohstoff für die Zellulose liefern. Heute sind es bereits 7.000 Quadratkilometer. Das „Forstmodell“ werde seit 1987 auf Betreiben der Weltbank und flankiert von üppigen Steueranreizen forciert, sagt María Selva Ortiz von der Umweltgruppe Redes: „Diese grünen Wüsten lehnen wir aus sozialen und ökologischen Gründen ab.“ Die schnell wachsenden Bäume entzögen dem Boden Nährstoffe und viel Wasser.
Die Fronten sind verhärteter denn je. Uruguay hat das Megaprojekt zur „nationalen Sache“ erklärt und angedeutet, es könne den Konflikt sogar zum Anlass nehmen, aus dem Wirtschaftsbündnis Mercosur auszusteigen. Das wiederum freut die USA: Während der argentinische Außenminister den Gang zum Internationalen Gerichtshof bestätigte, verkündeten Tabaré Vázquez und George W. Bush in Washington, die beiden Länder würden einen „möglichst weitgehenden Handelsvertrag“ aushandeln. GERHARD DILGER