: „Kleine Delikte gibt es in den besten Familien“
Rechtsanwalt Viktor Pfaff kritisiert die erschwerte Einbürgerung von Ausländern, die eine kleinere Straftat begangen haben
taz: Herr Pfaff, die Innenministerkonferenz will die Einbürgerung von straffälligen Ausländern erschweren. Ist das legitim?
Pfaff: Ich glaube, dass sich auch ein Mensch, der einmal eine nicht allzu schwere Straftat begangen hat, gut in Deutschland integrieren kann.
Wie ist die Rechtslage heute und wie soll sie verschärft werden?
Heute heißt es im Staatsangehörigkeitsgesetz, dass ein Ausländer nach achtjährigem rechtmäßigem Aufenthalt in Deutschland einen Anspruch auf Einbürgerung hat – „wenn er nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist“. Laut Gesetz bleiben bisher aber Straftaten „außer Betracht“, die mit Bewährungsstrafen unter sechs Monaten oder Geldstrafen unter 180 Tagessätzen geahndet wurden.
Solche kleineren Delikte beeinträchtigen den Anspruch auf Einbürgerung bisher also nicht …
Genau. Und diese Schwelle soll künftig auf zweierlei Weise abgesenkt werden. Zum einen sollen schon 90 Tagessätze den Anspruch auf Einbürgerung blockieren. Zum anderen soll es auch genügen, dass bei mehreren Verurteilungen insgesamt mehr als 90 Tagessätze verhängt wurden, also zum Beispiel 30 plus 30 plus 40 Tagessätze.
Wird dies viele Einbürgerungen verhindern?
Vermutlich mehr als der Einbürgerungstest. Kleinere Straftaten kommen schließlich auch in den besten Familien vor.
Und was halten Sie von diesen Verschärfungen?
Gegen das Addieren der Einzelstrafen kann man nur schwer etwas sagen. Hartnäckig straffällig werdende Ausländer, die immer knapp unter der maßgeblichen Schwelle bleiben, muss man nicht unbedingt einbürgern. Denn sie könnten auch dann nicht mehr ausgewiesen werden, wenn sie später schwere Delikte wie Raub oder Totschlag begehen – denn sie sind dann ja deutsche Staatsbürger. Eine bloße Absenkung der Schwelle auf 90 Tagessätze macht dagegen keinen Sinn. Sie trifft eher die Falschen.
Welche Art von Delikten wird denn mit 90 bis 180 Tagessätzen bestraft?
Das lässt sich schlecht verallgemeinern, denn bei jeder Straftat müssen alle Umstände des Einzelfalles betrachtet werden. Aber 100 Tagessätze, das ist schon ein recht häufig verwandtes Strafmaß. Das gibt es zum Beispiel nach einem fahrlässigen Verkehrsunfall oder dem Diebstahl einer höherwertigen Sache. Ich finde nicht, dass solche einmaligen Vergehen einer Einbürgerung entgegenstehen sollten.
Ist die Einbürgerung in diesem Fall definitiv ausgeschlossen?
Theoretisch nein. Das Gesetz sagt heute, dass „im Einzelfall“ entschieden werden muss, ob gleichwohl eingebürgert wird, wenn der Ausländer zu einer Strafe von mehr als 180 Tagessätzen verurteilt wurde. Dabei wird es auch bei einer Absenkung auf insgesamt 90 Tagessätze bleiben. Mir ist aber in langjähriger Praxis kein Fall bekannt, dass von dieser Bestimmung Gebrauch gemacht wurde.
Die Einzelfallprüfung stand in diesen Fällen also nur auf dem Papier?
So sieht es aus. Man kann nur hoffen, dass dies nach einer deutlichen Absenkung der Schwelle anders wird.
Wie lange muss sich ein Ausländer eine Straftat bei der Einbürgerung vorhalten lassen?
Geldstrafen über 90 Tagessätze werden im Bundeszentralregister zehn Jahre lang gespeichert, geringere Geldstrafen nur fünf Jahre. Nach der Tilgung können sie eine Einbürgerung nicht mehr verhindern.
Muss ein Einwanderer, der nicht eingebürgert wird, das Land verlassen?
Natürlich nicht. Auch durch kleinere Straftaten verliert ein Einwanderer nicht sein Aufenthaltsrecht in Deutschland. INTERVIEW: CHRISTIAN RATH