Letzter Dienst an der Partei

Alt-Bürgermeister Henning Voscherau zieht zurück: Mathias Petersen wird Spitzenkandidat der Hamburger SPD im Bürgerschaftswahlkampf 2008. Als Parteichef mit gutem Ergebnis bestätigt

„Gegen den Willen der Mehrheit geht es nicht. Ich habe verstanden“: Henning Voscherau

Von Sven-Michael Veit

Keine Stecknadel fiel in die angespannte Stille auf dem Landesparteitag der SPD. Aber Hunderte von Steinen polterten von sozialdemokratischen Herzen, als Henning Voscherau den erlösenden Satz „Mathias, du hast den ersten Zugriff“ aussprach. Der Alt-Bürgermeister zog seine Kandidatur zurück, die er offiziell nie angemeldet hatte, und Applaus brandete durch das Bürgerhaus Wilhelmsburg. Seit Samstagmittag ist Parteichef Mathias Petersen als designierter Spitzenkandidat der Hamburger SPD der Herausforderer von CDU-Regierungschef Ole von Beust bei der nächsten Bürgerschaftswahl.

Er wolle der SPD „eine Zerreißprobe“ ersparen, „an deren Ende beide Kandidaten beschädigt sind und Herr von Beust der lachende Dritte“, begründete Voscherau vor den 345 Delegierten seinen Verzicht. Zuvor hatte der Notar, der nach fast neunjähriger Regierungszeit 1997 lieber zurücktrat, als mit der GAL zu koalieren, sechs Monate lang seine Partei mit mehrdeutigen Signalen verunsichert.

Er stehe „als Joker“ zur Verfügung, wenn die SPD ihn als Spitzenkandidaten wolle, hatte der 64-Jährige im Dezember erklärt. Im vorigen Monat hatten sich allerdings alle sieben Parteikreise auf ihren Delegiertenversammlungen hinter Petersen gestellt. Das musste nun auch Voscherau einsehen: „Gegen den Willen der Mehrheit geht es nicht. Ich habe verstanden.“

Sehr zur Freude von Johannes Kahrs: „Mathias hat den Joker gezogen“, höhnte der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des SPD-Kreises Mitte. Zufrieden und erleichtert reagierte ein Dutzend weiterer prominenter GenossInnen auf Voscheraus Rückzug. „Mit Respekt“ und „durchaus honorig“ lauteten die wohlgesetzten Kommentare, „ein guter Tag für die SPD und für Hamburg“ die schadenfrohen, „Hennings letzter Dienst an der Partei“ die bissigen.

„Sehr erleichtert“ war denn auch Petersen, den Voscherau mit seinen vagen Bereitschaftserklärungen monatelang vor sich her getrieben hatte. Vor den Delegierten war der 50-jährige Arzt und Bürgerschaftsabgeordnete, der bereits vor einem Jahr seine Ambitionen auf die Spitzenkandidatur angemeldet hatte, erstmals in die Offensive gegangen. „Ein klares Ja oder ein klares Nein“ hatte er gleich zu Beginn des Parteitages eingefordert: „Dazwischen gibt es nichts.“

Erstmals in seiner zweijährigen Amtszeit als Landesvorsitzender gab Petersen seine sonst gewohnte Zurückhaltung auf. Aufgekratzt und die Entscheidung suchend präsentierte er sich so, wie GenossInnen es lieben: forsch, hemdsärmelig und kämpferisch.

Mit scharfen Angriffen auf Bürgermeister Ole von Beust und dessen „Politik der sozialen Kälte“ erwärmte Petersen in seiner 45-minütigen Parteitagsrede sozialdemokratische Herzen, häufig von Beifall unterbrochen und am Ende mit fast zweiminütigen stehenden Ovationen belohnt. „Ich hatte nichts zu verlieren“, gestand Petersen, nachdem er alles gewonnen hatte.

Denn mit 282 Stimmen (88,4 Prozent) wurde er als Landesvorsitzender für weitere zwei Jahre bestätigt und erreichte sogar ein besseres Ergebnis (plus 3,1%) als bei seiner ersten Wahl 2004. Auch seine StellvertreterInnen, die ehemalige Bürgerschaftspräsidentin Dorothee Stapelfeldt (253) und der Wandsbeker Kreisvorsitzende Karl Schwinke (246), wurden mit deutlichen Mehrheiten gewählt.

Nur ein Mitglied des Landesvorstandes erhielt noch mehr Zustimmung als Petersen: Altonas Kreischefin Kristin Alheit (297) übersprang bei ihrer Kür zur Beisitzerin als Einzige die 90-Prozent-Hürde. Mit zehn Frauen unter den 24 Vorstandsmitgliedern hielt die SPD zudem die 40-prozentige Frauenquote problemlos ein.

In der demonstrativen Geschlossenheit, welche der Parteitag nach Voscheraus Verzicht und Petersens überzeugendem Auftritt verströmte, warnte nur eine Stimme vor eitel Sonnenschein. „Du musst noch zwei Jahre harte Arbeit leisten, Mathias“, forderte die ehemalige Parteichefin und Stadtentwicklungssenatorin Traute Müller: „Du musst dein Profil schärfen, programmatisch und persönlich.“