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Archiv-Artikel

Der neue Berliner Kulturdirigent

Elmar Weingarten hat sein Amt als Kurator für den Hauptstadtkulturfonds angetreten. Keine leichte Aufgabe nach der „Ära Goehler“ – aber eine, die Raum lässt, die Kunstszene weiterzuentwickeln

Weingarten wird ohne neue Schwerpunkte und Entdeckungen nicht auskommen

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Der Anfang war kein leichter: Über 200 Projekte aus der Kunst- und Kulturszene lagen auf dem Tisch des neuen Kurators für den Berliner Hauptstadtkulturfonds. Ein gutes Viertel hat Elmar Weingarten zu seinem Dienstantritt am 2. Mai 2006 durchgeschaut. Weitere rund 150 Exposés und Förderanträge von Produzenten Bildender Kunst, des Theaters, Gesangs, modernen Tanzes, der Musik, Literatur und anderen warten noch darauf.

Schwerer als die Mühe mit dem Papier wiegt, dass der 64 Jahre alte Elmar Weingarten als Kurator für die Vergabe der insgesamt 10,2 Millionen Euro, die der Bund jährlich für Kunstprojekte bereitstellt, eine Auswahl treffen muss. Die Hauptstadtkulturszene wird sehr genau auf diesen ersten Akt des Neuen achten. Schließlich geht davon für sie eine Richtungsentscheidung und ein Signal nach der Ära Adrienne Goehler aus.

A propos Goehler: Sie hat die Höhe der Latte vorgelegt, über die Weingarten, wie er sehr wohl weiß, rüber muss – vor allem mit ihrer Präsenz und Nähe zur jungen innovativen Kunst sowie ihrem kritisch gepflegten Diskurs. Goehler trat zudem recht lautstark auf. Weingarten haftet eher das Etikett des Behutsamen an. Nach der Entscheidung von Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei) und Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) für den einstigen Intendanten der Philharmoniker und anschließenden Kulturmanager des Frankfurter „Ensemble Modern“ waren die ersten Reaktionen in Berlin darum auch nicht eben euphorisch.

Sicher, an die Spitze des Förderinstruments, so einige Berliner Medien, komme ein Kenner der Berliner „Hochkultur“ und ein „Mann mit Kommunikationsfähigkeiten“. Flierl und Neumann lobten gemeinsam sein „hohes Ansehen“ als „Kulturmanager“, das sich Weingarten als Intendant und im Rat für die Künste erworben habe.

Viele Medien kritisierten die Wahl in scharfen Tönen. Der „alte Mann“ stehe „für alles andere steht als für Aufbruch, Optimismus und Innovation“, meckerte die Welt hämisch und stellvertretend für andere. Das Blatt warf die für Berlin weit wichtigere Frage auf, ob Weingarten wirklich der ist, der die Existenzberechtigung des Fonds immer wieder neu verteidigt und der statt in Konzertsälen in Fabrikhallen, auf Off-Bühnen, in Galerien und Hinterhöfen avantgardistische Künstler und neue Tendenzen in der Kunst auftut.

Endgültig geklärt wird diese Frage erst nach den beiden Amtsjahren sein. Indizien, dass Weingarten es auf seine Weise schafft, den Hauptstadtkulturfonds als Subventionsinstrument für die junge Kunst zu bewahren und weiterzuentwickeln, gibt es aber auch: Goehler brachte teilweise ganze Bundestagsfraktionen gegen sich und den Fonds auf, etwa nach ihrer Initiative, eine RAF-Ausstellung (2004) in den „Kunstwerken“ zu fördern oder durch ihre Haltung zum neuen Vergabeverfahren des Kulturfonds, das Bund und Senat nun gemeinsam durchführen. Weingartens diplomatische Ader könnte weniger Ärger und weniger Sorgen nach dem „Aus“ für die Förderung hervorrufen. Kaum im Amt, sagte der 64-Jährige beispielsweise, Staatsminister Neumann habe ihm gegenüber ein „Bekenntnis“ abgegeben, dass an der Fördersumme festgehalten werde.

Weingarten hat zudem „Kontinuität“, etwa in den Bereichen Tanz, junge Oper und Bildende Kunst signalisiert. Er hofft, an das bisher erreichte anzuknüpfen und dies „sichern“ zu können. Gerade im modernen Tanzbereich habe Berlin in den vergangenen Jahren mit seinen Companies international Anschluss und Ausstrahlung erzielt; der Tanz ist geradezu zu einem Synonym für Kunst und Kultur in Berlin geworden.

Dennoch wird Weingarten ohne neue Schwerpunkte und Entdeckungen nicht auskommen. Goehlers Neigung, im Bühnenbereich kaum über das Hebbel am Ufer hinausgeschaut zu haben, wird Weingarten ersetzen müssen. Berlins oft kritisierte Off-Theaterszene bietet mehr Substanz überregionaler Bedeutung, die durch die Förderung verstärkt werden muss. Auch in der Literaturszene, der jungen Musik und bei Projekten von Migranten sind Potenziale für die Neu- oder Weiterdefinition der Hauptstadtkunst vorhanden.

Den Hauptstadtkulturfonds, der eingerichtet worden war, innovative Berliner Künstler und Projekte mit überregionaler und internationaler Ausstrahlung jenseits der „Leuchttürme“ zu fördern, sollte auch Weingarten als Transmissionsriehmen für Experimente und mehr noch für Experimentierfelder verstehen. Damit sind in der Stadt Flächen, Orte und Institutionen gemeint, die neu und sperrig, aber zukunftsweisend sind. Die kulturelle Zwischennutzung des Palastes der Republik etwa bildete ein Konzept oder Exempel, wie die leeren Räume der „Shrinking Cities“ zu bespielen wären.

„Ich verstehe mich als Wünschelrutengänger“, hat Weingarten zum Amtsantritt seine Rolle als zukünftiger Kurator beschrieben. Das klingt gut, ist aber zu wenig. Denn das zufällige Auffinden und Ausloten von neuen Konzepten, Projekten und Diskursen allein reicht nicht. Der Hauptstadtkulturfonds ist ein operatives Instrument. Mit ihm kommt es darauf an, im kulturellen Sand tief unter dem Event-Beton zu graben. Dann fließt Kunst.