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Archiv-Artikel

Nach Luthers Art – doch gegen seine Weise

PROTESTIERENDE PROTESTANTEN Mit einem Thesenanschlag an der Domtür wollen evangelische Christen am Reformationstag die Institution der Militärseelsorge kritisieren – egal was Luther dazu gesagt hätte

Von HB
Hassprediger Luther

■ Als Theoretiker des gerechten Kriegs tritt Luther 1526 mit der Schrift „Ob Kriegsleute auch im seligen Stand sein können?“ hervor. Seine Antwort auf die Titelfrage: Klar, solange Höherrangige – Fürsten – aufrührerische Subalterne – Bauern – plattmachen.

■ Besonders gerecht: Glaubenskriege. In „Vom Kriege wider die Türken“ (1529) und der „Heerpredigt wider den Türken“ entwirft der Reformator ein defensives und ein offensives Motivationstraining für den Feldzug.

■ Der innere Feind sind ihm die Juden: Nach einem wirklich sehr kurzen Anflug von Toleranz angesichts der Erkenntnis, „Daß Jesus ein geborener Jude sei“ (1523), knüpft Luther ab 1525 wieder an die Hetze seiner Frühphase an. Die gipfelt im berüchtigten Text „Von den Juden und ihren Lügen“, der zur Lösung der Judenfrage die Zerstörung sämtlicher Synagogen, die Verbrennung jüdischer Schriften, Zwangsumsiedlungen in eigene Arbeitslager und ähnliche Maßnahmen der „scharfen Barmherzigkeit“ empfiehlt.  (bes)

Heute um 11 Uhr erlebt der Dom einen historischen Moment: Eine Gruppe Bremer Christen, darunter Pastoren, will am Reformationstag gegen die Militärseelsorge protestieren. Und zwar „in Luther-Manier“, wie die Initiatoren ankündigen. Luther gelang mit seinen am Vortag von Allerheiligen veröffentlichten Thesen die Initialzündung der Reformation.

Das Anliegen der Bremer Protestanten ist gut nachvollziehbar – zumal die Militärseelsorge jährlich 30 Millionen Euro kostet. Aber muss der Thesenanschlag nicht schon daran scheitern, dass die Domtüren – im Gegensatz zu denen der Wittenberger Schlosskirche – aus Bronze sind?

„Wir werden Klebestreifen verwenden“, erklärt Joachim Fischer vom Bremer Friedensforum, „und zwar rückstandsfreie“. Mit denen werde man kein Pergament, aber immerhin ein DIN A 2 großes Papier an den Türen befestigen. Das fordert den Ausstieg der evangelischen Kirche aus dem Militärseelsorgevertrag mit der Bundeswehr.

„Wir wollen nicht, dass Soldaten der seelsorgerische Beistand versagt wird“, betont Fischer. Der aber solle in gemeindeeigenen Räumen von den Ortspfarrern geleistet werden, nicht durch eine institutionalisierte Militärseelsorge.

Bei Auslandseinsätzen müsse gegebenenfalls auf Internet und Telefon zurückgegriffen werden. Die Mittel der Militärseelsorge soll eine „zivile Konfliktbearbeitung“ finanzieren.

„Militärpfarrer werden vom Militär bezahlt, fahren militärische Fahrzeuge, haben ihre Büros in Kasernen und tragen im Ausland militärische Kleidung“, heißt es auf der Webseite der bundesweiten ökumenischen Initiative „Militärseelsorge abschaffen“.

Und weiter: „Sie begleiten und beruhigen ,ihre‘ Soldaten. Sie stabilisieren und legitimieren das Militär. Und unterstützen hierdurch den Krieg. Was hätte der gewaltfreie Jesus von Nazareth dazu gesagt?“

Allerdings stellt sich auch die Frage: Was hätte Martin Luther dazu gesagt? Der Reformator hat sich keineswegs als Friedensfreund profiliert – sondern den Einsatz militärischer Gewalt etwa gegen die sozial motivierten Bauernerhebungen gepredigt.

„Das war eine andere Zeit“, sagt Friedrich Scherrer, Pfarrer der St.-Michaelis- und der St.-Stephani-Gemeinde sowie Mentor des „Arbeitskreises Kirche und Gesellschaft“. Diese unterstützt den heutigen Protest. Mit der öffentlichkeitswirksamen Aktion wolle man „die Methode Luther“, nicht aber dessen Geisteshaltung zur Gänze übernehmen.

Das ist gut – zumal Luthers vehement antijudaistische Haltung hoch problematisch ist. Würde der Reformator heute vor den Türen des Bremer Domes stehen, wäre er sehr verwundert: Über die mittlerweile dort angebrachte Hinweistafel, mit der sich die Domgemeinde vom Rassismus der Vergangenheit distanziert, der sich in den „antijüdischen Physiognomien“ der auf den Domtüren dargestellten Missetäter zeigt. Ob Luther aber überhaupt je Thesen an eine Kirchentür nagelte, ist ohnehin umstritten.  HB