Kein gutes Klima

FILM „Out in Ost-Berlin“ von Andreas Strohfeldt und Jochen Hick ist eine schöne Dokumentation über Schwulsein im Arbeiter-und-Bauern-Staat und den Zwiespalt zwischen rechtlicher Anerkennung und öffentlichem Tabu

Der Paragraf 175 war in der DDR 1968 gestrichen worden, auf der Straße lebte er weiter

VON DETLEF KUHLBRODT

Im Gegensatz zur Bundesrepublik, die den berühmt-berüchtigten Paragrafen 175 erst 1994 ersatzlos strich, entkriminalisierte das Strafgesetzbuch der DDR Homosexualität schon 1968. Besonders wohlgelitten waren Schwule und Lesben im Arbeiter-und-Bauern-Staat trotzdem nicht. Ihre Sexualität wurde tabuisiert und kam in der Öffentlichkeit nicht vor. Die älteren Schwulen aus der Kriegsgeneration, die bis zum Mauerbau häufig im Westteil der Stadt unterwegs waren, konnten damit leben; ermutigt von schwulen Aktivisten aus dem Westen, outeten sich die Jüngeren und forderten Freiräume, die sie teils unter dem Dach der Kirche fanden.

Die beiden Regisseure Andreas Strohfeldt und Jochen Hick schildern in ihrer schönen Dokumentation „Out in Ost-Berlin“ (2013) 13 Einzelschicksale schwuler Männer, die zum Teil eher wider eigenen Willen in Opposition zum Staatsapparat gerieten. Eine Klammer bildet dabei die Geschichte des ersten Mauertoten Günter Litfin, der am 24. August 1961 bei seinem Fluchtversuch an der Mauer erschossen und später in DDR-Medien mit Falschmeldungen als pädophiler Stricher denunziert wurde. Während Jürgen Litfin viele Jahre darum kämpfte, den toten Bruder zu rehabilitieren, versuchten schwule Aktivisten, ihn für ihre Sache zu instrumentalisieren. Am Ende gelingt es Jürgen Litfin, das Neue Deutschland dazu zu bringen, in einem Artikel den Ruf seines Bruders wieder herzustellen.

Besonders gelungen ist der Film, wenn er zwischen wunderschönen, unterschiedlich verblichenen Archivbildern und aktuellen Interviewbildern homosexueller Aktivisten und Aktivistinnen zwischen 50 und Mitte 70 wechselt.

Manchmal muss man grinsen, wenn es in einem schwulen Amateurfilm, der an einem See spielt, heißt: „Obwohl bestes Tuntenwetter war, war das Wasser sehr kalt.“ Wenn ein älteres schwules Paar erzählt, es hätte bei ihnen schon in den 60er Jahren „geschnappelt“. Wenn „Verzauberte“ in ihren gemütlichen Wohnzimmern berichten, wie sie vor dem Mauerbau in den Westteil der Stadt gingen, um dort angesprochen zu werden. Und wenn ein 75-Jähriger sagt, er werde seit seiner Kindheit „Putzi“ genannt. Der Paragraf 175 war zwar schon 1968 aus dem Gesetzbuch gestrichen worden; in der Öffentlichkeit existierte Homosexualität aber nicht.

Die DDR war nicht weniger konservativ als die BRD. Die Bürger sollten am besten mit 19 heiraten und Kinder kriegen. „Der Sozialismus verkörperte sich in der Mutti“, sagt jemand. Bis dass junge Leute merkten, dass sie nicht ganz allein waren in ihrem Begehren, dauerte es lange. Homosexualität galt als bürgerliche Perversion, berichtet ein dünner Engländer, der 1973 als einziger offen schwuler Delegierter an den „Weltfestspielen der Jugend und Studenten“ in Ostberlin teilgenommen hatte und mit einem Schild gegen die Diskriminierung von Homosexuellen protestierte. Von seinen Genossen wäre er deshalb sogar mit Mord bedroht worden.

Ein ehemaliger Kommunist, der als Kind gerne Präsident der DDR geworden wäre, erzählt, wie er von einem Kommilitonen, dem er sich anvertraut hatte, denunziert wurde und die Verachtung seiner Dozenten zu spüren bekommen hatte.

Lesben berichten, wie sie daran gehindert wurden, im KZ Ravensbrück ermordete Lesben mit einem Kranz zu ehren, wie ihnen vorgeworfen wurde, mit ihrer Aktion die Opfer des Faschismus zu entehren, wie sie von Mitbürgern übel beschimpft wurden und wie später, als sich Schwule und Lesben unter dem Dach der Kirche organisiert hatten, die Schwulen meinten, auch für Lesben sprechen zu können. Romeo-Agenten der Stasi wurden auf ausreisewillige Homosexuelle angesetzt und möchten die Berichte, die sie damals schrieben, nicht mehr lesen.

Es geht natürlich auch um die fünf schwulen Lokale in Ostberlin, und am Ende des auch sehr schön geschnittenen Films sagt Jürgen Litfin, den man zunächst für leicht homophob gehalten hatte: sie seien immer schick angezogen und nett zu Frauen, „und das ist alles, was ich von Homosexuellen weiß“.

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