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Archiv-Artikel

KURZKRITIK: SIMONE SCHNASE ÜBER ANJA RÖHL IN DER VILLA ICHON Das Ding mit der Wahrheit

Klaus Hübotter freut sich: Anja Röhls Lesung gibt ihm Gelegenheit, einmal mehr klarzustellen, dass er und nicht Röhls Vater Klaus Rainer Gründer der konkret war. Und er erzählt auch gleich, wie ihm der Verfassungsschutz jahrelang eine Liebesbeziehung zu Ulrike Meinhof andichtete – obwohl er ihr nie persönlich begegnet war. Und Hübotters angebliche Geliebte ist in Anja Röhls Buch „Die Frau meines Vaters“.

Um eine Kindheit im Mief des Nachkriegs-Deutschlands geht’s da, mit einer überforderten Mutter, einem lieblosen Vater und Landverschickungen, wo die „Tante“ den Kindern auch mal die Münder mit Leukoplast zuklebte. Eine freudlose Zeit – bis Papa eine neue Freundin hatte: eine Lichtgestalt, liebevoll, geduldig und zugewandt. Eine anrührende Geschichte über das Aufwachsen in einer autoritären Gesellschaft ist das, und dabei könnt’s bleiben – wäre die Lichtgestalt nicht Ulrike Meinhof.

Die sagte, hochschwanger, zum kleinen Mädchen Anja Röhl: „Man darf Kinder nicht zu oft und nicht zu lange alleine lassen.“ Das beeindruckt Röhl bis heute – und blendet dabei aus, dass Meinhof sieben Jahre später ihre Zwillingstöchter weggab. „Die junge Frau“, schreibt Röhl über sich in der dritten Person, „fühlt sich nicht in der Lage, die Dinge zu beurteilen, die Ulrike und ihre Genossen getan haben.“ Die Ältere freilich auch nicht, Fragen nach der RAF lässt sie ebenso unbeantwortet wie die nach den geschwärzten Stellen in ihrem Buch – Resultate eines Rechtsstreits mit den Halbschwestern: Meinhofs leibliche Töchter wollten nicht im Zusammenhang mit einer liebevollen Mutter genannt werden. Eine davon, Bettina, sagte vor drei Jahren gegenüber der taz, Anfang der 70er-Jahre sei Meinhof „nicht mehr bei Verstand gewesen und liebesfähig ohnehin nicht mehr. Und, ehrlich gesagt, auch nicht mutterfähig.“ Die Passagen seien geschwärzt, sagt indes Anja, weil die Halbschwestern sie zu persönlich fänden, aber keineswegs, weil sie unwahr seien.

„Mein Buch“, sagt sie außerdem, „ist rückhaltlos subjektiv.“ Das bleibt an diesem Abend der einzige Satz, den wohl niemand hinterfragt.