: Mit links zur Mitte
ROT-ROT-GRÜN Die Linke kann 2017 mehrheitsfähig sein – wenn sie ihre Differenzen ernst nimmt und eine gemeinsame Strategie entwickelt
■ geb. 1972, war von 1999 bis 2001 Bundesvorsitzender der Jusos. Seit 2011 arbeitet er als freiberuflicher Politikberater, unter anderem als Geschäftsführer des Vereins Denkwerk Demokratie.
Die Bundestagswahl ist gelaufen, links der Mitte ist der Katzenjammer groß. Wieder wird es keinen wirklichen Politikwechsel geben. Ganz Wagemutige verweisen auf die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Koalition. Doch es ist ein Mythos, dass es im Lande eine solche Mehrheit gibt. FDP und AfD fehlten 0,5 Prozentpunkte, um gemeinsam mit der Union eine konservative Mehrheit im Bundestag abzubilden.
Die parlamentarische Mehrheit von SPD, Grünen und Linkspartei ist hingegen mehr Zufall als Wählerwille. Eine Koalition, die eine gewisse Überlebenswahrscheinlichkeit haben möchte, sollte zum einen politisch vorbereitet sein und zum anderen über eine relevante gesellschaftliche Unterstützung verfügen. Beides ist derzeit nicht der Fall. Auch ist der Mythos zu hinterfragen, dass es ein latentes linkes Wählerpotenzial gibt, das man nur heben müsse. Im SPD-Sound hieß das mal: „Kampagne können wir!“ Gemeint war, dass sie im Ernstfall ihre Truppen mobilisieren kann. Die Konservativen hatten davor gelegentlich Respekt, doch das ist vorbei. Allenfalls die bürgerliche Oberschicht verfügt noch über einen „Klasseninstinkt“ und weiß, was zu tun ist, wenn der politische Ernstfall eintritt. Die sogenannte Mitte ist politisch höchst vielfältig, und die Unterschicht antwortet auf das Unterschichtsdesinteresse der Politik völlig zu Recht mit Desinteresse an der Politik.
Wie das Land wirklich tickt
Vor der Bundestagswahl hatte die Stimmungslage im Land zwei Seiten, denen wiederum zwei unterschiedliche Problemsichten zugrunde lagen. Rechts der Mitte wurde der Blick auf das wirtschaftlich (vergleichsweise) starke Deutschland gerichtet, bedroht nur von Schuldenländern der Eurozone. Die Parole lautete: Keine Experimente, weiter so. Deutschland!
Links der Mitte gab es den Blick hinter die Kulissen: Niedriglöhne, prekäre Arbeit, Pflegenotstand, marode Infrastruktur und gefährdete Energiewende. Hier ging es um Gerechtigkeit und einen besser ausgestatteten Staat. Wer die Wahlanalysen nüchtern betrachtet, muss sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass das konservative Versprechen von „sicherem Wohlstand“ (ebenso das Personalangebot) für viele Wähler attraktiver war. Bei einstigen Hoffnungsträgern wie Arbeitern, Gewerkschaftern, Frauen und Jungwählern war die Union die stärkste Partei.
Links der Mitte gab es kein gemeinsames Thema, kein Projekt, das Köpfe und Herzen der gesellschaftlichen Mitte erreicht. Während die letzten zwei großen Krisen – der 1930er und der 1970er Jahre – jeweils auch eine wirtschaftspolitische Wende zur Folge hatten, ist dies in dieser großen Krise ausgeblieben. Links der Mitte ist es bislang nicht gelungen, machbare Alternativen zum gegenwärtigen Finanzkapitalismus aus der Welt der Gewerkschaftskongresse, Sonderforschungsbereiche und Suhrkamp-Bände in das Alltagsbewusstsein zu übersetzen.
Das linke Lager gibt es nicht
Dass das „linke Projekt“ eher ein Phantom ist, liegt auch daran, dass das linke Lager eigentlich keines ist: Die Facharbeiterschaft und Angestellten bzw. ihre politischen Repräsentanten vor allem in SPD und Industriegewerkschaften richten ihr Interesse auf die industriellen Exportbranchen. Dies zum Unwillen des Ökobürgertums, das Bioläden und Biostrom gut findet, aber wenig Interesse an sozialen Verteilungsfragen hat. Eine linkskeynesianische bzw. sozialethische Diskurswelt thematisiert diese Verteilungs- und Gerechtigkeitsfrage, stößt aber schon bei den Facharbeitern mit Vorschlägen zur Einkommens- und Vermögensbesteuerung auf gebremste Begeisterung. Auch die kapitalismuskritische Postwachstums-Diskurswelt hat nur wenig Anschlussfähigkeit an die Arbeitnehmermitte, die mit den Forderungen nach Grundeinkommen und Solidarökonomie wenig anfangen kann. Politische Schnittmengen links der Mitte gibt es derzeit am ehesten in Einzelforderungen wie einem gesetzlichen Mindestlohn. So wichtig es ist, die prekäre Arbeit zurückzudrängen, so muss sich die politische Linke, will sie 2017 mehrheitsfähig sein, auch der Aufgabe stellen, mit den Konservativen den Wettbewerb um „Wirtschaftskompetenz“ zu führen. Nötig ist eine prozesshafte Strategie für einen sozial-ökologischen Strukturwandel der Ökonomie und Deutschland und Europa. Man könnte dies als einen linken Reformismus bezeichnen. Drei wichtige Elemente sind zu nennen:
Erstens sollte man sich über politische Ziele verständigen, die zumindest in der mittleren Frist gemeinsam erreicht werden können. Kurzfristig wird man einer Industriegewerkschaft nicht vorwerfen können, dass sie die Interessen ihrer im Braunkohlebergbau beschäftigten Mitglieder vertritt – und einem Umweltverband nicht, dass er genau das kritisiert.
Die Neoliberalen sind widerlegt
Zweitens: Politische Innovationen kommen eher von den Rändern, Hegemonie aber entsteht in der Mitte der Gesellschaft. Ein linkes Projekt wird nur realisierbar sein, wenn es nicht nur von Funktionären in Parteien und sozialen Bewegungen unterstützt wird, sondern auch von den Kleinbürgern mit den Kleingärten aus den Kleinstädten.
Drittens: Der inhaltliche Kern eines linken Reformismus sollte die Politisierung der volkswirtschaftlichen Investitionen sein. Die Neoliberalen haben jahrzehntelang behauptet: Lasst den Unternehmen die Gewinne, den Reichen die Vermögen, dann investieren sie. Die empirische Realität zeigt das exakte Gegenteil. Zeit also für eine Beweislastumkehr. In Anlehnung an einen Vorschlag des Nobelpreisträgers Robert Shiller wäre denkbar, dass beim Überschreiten eines demokratisch vereinbarten Niveaus der Einkommens- und Vermögensverteilung höhere Steuern fällig werden. Um der Staatsskepsis entgegenzutreten, könnte man einen Zukunftsinvestitionsfonds einrichten, der aus diesen Einnahmen gespeist wird. Je hälftig könnte das Geld für die ökologisch-soziale Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur verwendet werden bzw. über Förderprogramme an die Wirtschaft zurückfließen. Über die Kriterien der Mittelverwendung sollte eine öffentliche Debatte geführt, und es sollten gesellschaftliche Gruppen in eine Art Beirat dieses Fonds einbezogen werden. BENJAMIN MIKFELD
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