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Archiv-Artikel

Kuhhandel gebilligt

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Die letzte Hürde scheint genommen, das lange umstrittene Antidiskriminierungsgesetz kann wohl bald in Kraft treten – und zwar in einer Fassung, die über die Vorgaben der Europäischen Union (EU) zum Schutz von Minderheiten hinausgeht. Unter Murren, aber dann doch noch einmütig hat das CDU-Präsidium gestern „gebilligt“, dass die Regierung den Gesetzentwurf beschließt, der beim Koalitionsgipfel am 1. Mai ausgehandelt wurde. „Sicherlich geht die Welt nicht unter, wenn man das Gesetz in dieser Form beschließt“, sagte Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt.

Für die Union bedeutet die Zustimmung einen großen Schritt. Denn damit verabschiedet sie sich von ihrer Forderung, die EU-Richtlinien höchstens „eins zu eins“ umzusetzen. Auf Wunsch der SPD wird das Gesetz nun zusätzliche Paragrafen enthalten, die vor Diskriminierung auch wegen sexueller Orientierung und Religionszugehörigkeit schützen sollen (siehe auch Text unten). Dies hatte in den letzten Tagen zu wütenden Protesten aus der CDU und von Unternehmerverbänden geführt. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff nannte das Gesetz auch gestern noch ein „Monstrum“ und versprach, er werde sich im Bundesrat für Änderungen einsetzen. Es sei „kein Geheimnis, dass die Union das Gesetz so nicht in allen Facetten wollte“, sagte ein CDU-Sprecher der taz. Aber in einer Koalition müsse man zu Kompromissen in der Lage sein und einmal getroffene Verabredungen einhalten. Außerdem gebe es Zeitdruck: Wenn Deutschland die Richtlinien nicht umsetze, drohten Strafzahlungen von 900.000 Euro pro Tag. Es sei deshalb „höchste Feuerwehr“, endlich ein Gesetz fertig zu bringen. Natürlich könne man im Gesetzgebungsverfahren noch über Änderungen bei Details reden, fügte der Sprecher hinzu. Aber grundsätzlicher Widerstand von unionsregierten Ländern im Bundesrat sei nach dem Beschluss der Parteispitze nicht mehr zu erwarten. Im Präsidium seien schließlich „auch Ministerpräsidenten vertreten“, sagte der Sprecher. „Das sagt ja schon einiges.“ Schon morgen soll das Gesetz im Bundeskabinett beschlossen werden.

Auffallend zurückhaltend äußerte sich gestern Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, der in der Vergangenheit einer der lautesten Kritiker des Antidiskriminierungsgesetzes gewesen war. Der CSU-Chef erklärte, es sei immer schwierig, unter Koalitionspartnern mit unterschiedlichen Vorstellungen zu einem Kompromiss zu kommen. „Aber ich glaube, dass er tragfähig ist.“ Kein Wunder: Die CSU war bei dem Koalitionsgipfel mit einem für sie wichtigen Erfolg bei einem ganz anderen Thema ruhig gestellt worden. Als die Verhandlungen stockten, soll die Kanzlerin einen originellen Deal angeboten haben. Die SPD könne Zugeständnisse beim Antidiskriminierungsgesetz bekommen, wenn sie einen Herzenswunsch der CSU erfüllt. Den Bayern war es wichtig, im Zuge der Mehrwertsteuererhöhung ihre Bauern zu entlasten. Und so geschah es. SPD-Chef Kurt Beck stimmte zu, die Vorsteuerpauschale für Landwirte von derzeit 9 auf 10,7 Prozent anzuheben. Dafür erklärte sich die CSU bereit, auch „sexuelle Orientierung“ als Diskriminierungskriterium in das Gesetz aufzunehmen. Ein klassischer Kuhhandel, mit dem alle eigentlich zufrieden waren.

Nun gab es aber ein Problem: Ausgerechnet die Grünen lobten den Antidiskriminierungs-Kompromiss, weil er „dem rot-grünen Ansatz folgt“. Ein Lob, das der Union äußerst peinlich war. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm höchstpersönlich sah sich gestern bemüßigt, auf „16 Änderungen“ hinzuweisen, die gegenüber dem rot-grünen Gesetzentwurf vorgenommen worden seien. Insofern gehe „die Einschätzung der Grünen an der Realität vorbei“.