Eine schiefe Stele
Das Mahnmal für Homosexuelle im Berliner Tiergarten überzeugt durch die Aussage zu männlicher Intimität
BERLIN taz ■ Die Jury, die über den besten Entwurf für ein Mahnmal zur Homosexuellenverfolgung entschied, war umsichtig. Gekürt wurde im Januar der Vorschlag der dänisch-norwegischen Künstler Michael Elmgreen und Ingar Dragset. Eine Entscheidung, so das Jurymitglied Andreas Pretzel, aus „künstlerischen Erwägungen“. Die Juroren gaben einem erinnerungsästhetischen Zitat ihr Votum: Elmgreen und Dragset, die beide darauf hinwiesen, dass Schwule gesellschaftliche Räume stets nur erobern konnten, indem sie kopierten, sich anpassten, stahlen, haben sich offenbar genau angesehen, was der New Yorker Architekt Peter Eisenman auf dem Holocausterinnerungsfeld realisieren ließ: einen Wald von schier undeutbaren Betonstelen, unterschiedlich hoch, breit – und zueinander geneigt.
Auf der anderen Seite der Ebertstraße, gleich am Anfang des Tiergartens, soll der „Gedenkort für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen“ (wie die Initiatoren ihre Arbeit begreifen) entstehen: eine einzelne Stele, sehr den Entwürfen Eisenmans verwandt – nur wuchtiger, etwas schiefer geneigt. Ein singuläres Stück, das sich neben dem Stelenfeld zur Erinnerung an den Mord an den europäischen Juden geschwisterlich ausnimmt, artverwandt.
Der Clou aber ist, dass sich das Homosexuellenmahnmal – im Tiergarten, also im Revier seit jeher dort umher schwärmender schwuler Männer – in seiner künstlerischen Absicht erschließt. Beim genauen Blick sieht man, worauf es ankommt. Elmgreen und Dragset haben in ihre Skulptur eine Art Guckloch eingebaut – und sieht man hindurch, erkennt man auf einer Endlosfilmschleife Männer, die sich küssen. Ein pointiertes Statement, das die Initiatoren des Mahnmals in der Installation dessen, was Intimität bedeutet, überzeugt haben mag: Männer, die als genitale Wesen funktionieren, heterosexuell, fortpflanzungswillig, waren allen Regimen genehm – solche, die sich begehrend berühren, also auch mit Berührungen der Münder, dagegen nicht. Eine mahnmalästhetisch würdige und kluge Entscheidung. JAN FEDDERSEN