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Archiv-Artikel

„Angst vor dem Jugendamt“

JUGENDHILFE Diskussion im Rathaus: Steckt der Kinderschutz in der Sackgasse?

Von KAJ
Manfred Neuffer

■ 69, war von 1990 bis 2009 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Department Soziale Arbeit.

taz: Herr Neuffer, wieso steckt in Hamburg der „Kinderschutz in der Sackgasse?“

Manfred Neuffer: Ich beschäftige mich mit der Jugendhilfe in Hamburg seit 23 Jahren. Alle Schritte, die in den vergangenen Jahren neu eingeführt wurden – die Software JUS-IT, die Jugendhilfeinspektion, das Qualitätsmanagement – zielen darauf ab, mehr Kontrolle und die Einhaltung von Regeln zu erreichen. Es geht nicht darum, was Eltern und Kinder brauchen. Die Sozialarbeiter in den Allgemeinen sozialen Diensten (ASD) sollen managen. Sie haben keine Zeit, in Ruhe mit Eltern zu arbeiten.

Die Kontrolle soll verhindern, dass Kindern etwas geschieht.

Aber hier wird das Pferd von hinten aufgezäumt. Die Sozialarbeiter können gar nicht mehr ihren Beruf ausüben, den sie studiert haben, also: beraten, betreuen, begleiten. Alles wir dominiert von der Angst, dass wieder ein „Fall“ passiert. Die Behörde hat Angst vor der Katastrophe. Die Mitarbeiter haben Angst vor der Behörde. Und die Klienten haben Angst vorm Jugendamt.

Das ist zu merken?

Das Jugendamt hatte in der Bevölkerung noch nie einen guten Ruf. Es wird aber nicht daran gearbeitet, wie man Menschen besser erreicht. Das alte Label, das sind die, die sich in Erziehung einmischen und die Kinder wegnehmen, ist noch existent. Auch bei Pflegefamilien wird als Konsequenz des Todesfalls Chantal einfach nur mehr kontrolliert.

Was schlagen Sie vor? Wenn die Politik Kontrollen abbaut und dann etwas passiert, ist der Aufschrei noch größer.

Aber hier geht es nur um eine formale Absicherung für die Politik. So zu tun, als hätte man alles getan, weil man dafür gesorgt hat, dass die Regeln eingehalten werden. Die Behörde reagiert nicht auf die fachliche Kritik.

Was würden Sie denn tun?

Es gibt einen Rattenschwanz von falschen Ansätzen. Zum Beispiel, dass Hilfen nur noch kurz bewilligt werden. Alle diese Dinge müssen auf den Prüfstand. Man muss gucken, was braucht man, um Eltern zu erreichen. Die Arbeit „Face to Face“ muss wieder möglich sein. Die Ämter müssen Eltern, Kindern und Pflegeeltern wieder mehr vertrauen. Dass ein Kind misshandelt wird, wird sich nie ganz verhindern lassen. Soweit können sie in die Individualität von Menschen nicht eingreifen.  INTERVIEW: KAJ

Kinderschutz in der Sackgasse? Diskussion der Fraktion Die Linke: 18 Uhr, Bürgersaal im Rathaus