Eine Drogenpolitik zum Kotzen

Seit Jahren umstritten, manchmal mit Todesfolge: Der Brechmitteleinsatz gegen mutmaßliche Dealer führte in Hamburg und Bremen zu tödlichen „Zwischenfällen“. Seitdem müssen Verdächtige den Brechsaft „freiwillig“ schlucken

Laye-Alama Condé war nicht der erste Tote. Bereits Ende 2001 starb in Hamburg der 19-jährige Nigerianer Achidi John nach der Zwangs-Verabreichung von Brechmitteln. Sein vorgeschädigtes Herz hatte bei der brutalen Zwangsprozedur versagt. Zwei tödliche Opfer einer Praxis, die deren Befürworter nach wie vor für unbedenklich halten.

Das Zwangsmittel zum Zwecke der Beweissicherung gehörte in Bremen seit 1992 zum Repertoire polizeilicher Maßnahmen und wurde dort seitdem fast 1.000 Mal gegen verdächtigte Personen eingesetzt. Erst seit Condés Tod wird auf die Zwangsverabreichung des Brechmittel-Saftes verzichtet.

Auch in Hamburg kommt es seit über einem Jahr in der Praxis nicht mehr zur Zwangsverabreichung von Brechmitteln. Der Grund: Die Beschuldigten schluckten aus Angst vor der Einflößung das Brechmittel „freiwillig“. „Wir behalten uns die Zwangsverabreichung aber ausdrücklich vor, wenn das Mittel nicht freiwillig geschluckt wird“, betont Carsten Grote, Sprecher der Justizbehörde.

In Hamburg wurde die Zwangsverabreichung von Brechmitteln 2001 eingeführt – von der damaligen rot-grünen Landesregierung. Jahrelang war die Brechmittelvergabe von SPD und Grünen vehement als „menschenverachtende und gesundheitsgefährdende Zwangsmaßnahme“ abgelehnt worden. „Gesundheitlich unbedenklich“, befand jedoch im Juli 2001 ein vom Law-and-Order Wahlkampf der rechten Schill-Partei getriebener SPD-Innensenator Olaf Scholz und leitete die Kehrtwende ein.

Worauf diese Einschätzung beruhte, blieb Scholz’ Geheimnis. Denn die Fachliteratur warnt eindringlich vor den Nebenwirkungen des Saftes der in Südamerika wachsenden Ipecacuanha-Wurzel, der als Brechmittel verabreicht wird. In dem 1993 erschienenen medizinischen Standardwerk „Martindale – The Extra Pharmacopeia“ werden zahlreiche auftretende Komplikationen aufgeführt. Sie reichen von Rissen im Magen und der Speiseröhre – bewirkt durch ein häufig zu beobachtendes unstillbares Erbrechen nach der Einnahme des Sirups – bis hin zum Herztod. Eine Aufnahme des Brechmittels, so heißt es in dem Fachbuch, könne „die Herzfunktion beeinträchtigen, dabei können Leitungsstörungen oder Herzinfarkte auftreten. Diese Nebenwirkungen können in Verbindung mit einer erbrechensbedingten Entwässerung einen … Kollaps mit nachfolgendem Tod bewirken.“

Aus Frankfurt, Bremen und Düsseldorf, wo seit Jahren Brechmitteleinsätze durchgeführt werden, ist eine Vielzahl von Fällen dokumentiert, bei denen es nach der Zwangsverabreichung zu schweren Kreislaufzusammenbrüchen, inneren Verletzungen und einem oft wochenlang andauernden Brechreiz bei den Betroffenen gekommen ist. In Bremen erhielten gar die Opfer erzwungener Brechmittel-Einsätze nach dieser Behandlung den schriftlichen Ratschlag: „Bei starkem Erbrechen, starkem Durchfall oder Bluterbrechen bitte den Hausarzt aufsuchen.“

Laye-Alama Condé und Achidi John hatten dazu keine Gelegenheit mehr. Marco Carini