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Archiv-Artikel

morbider schmuck von ILKE S. PRICK

„Das ist nicht dein Ernst!“, stöhnt Gisela mit Blick auf das, was vor ihrer Nase hin und her baumelt. „Wieso soll es nicht mein Ernst sein?“, zickt Sylvia genervt zurück und nimmt das Corpus Delicti wieder an sich. „Das ist, das ist …“ Gisela holt tief Luft, bevor sie angewidert den Satz zu Ende bringt: „… Kannibalismus!“ – „Bei Kannibalismus hätten sie eine Leber oder die Milz nehmen müssen. Und die dann essen und nicht auffädeln“, versuche ich, die Diskussion auf ein etymologisch korrektes Niveau zu heben. Gisela schnauft. „Ich hätte ihr ja auch einen Gutschein für eine Fernsehzeitung schenken können, so wie du deinen letztes Jahr“, meckert Sylvia beleidigt und legt die Kette zurück in den Geschenkkarton.

Sie ist vorhin so stolz gewesen, als sie uns von der Geburtstagsüberraschung für ihre Mutter erzählt hat. 70 – da sollte es etwas Besonderes sein. Etwas Persönliches. Etwas, das es noch zu keinem Geburtstag gab. Und da wir alle mittlerweile aus dem Alter raus sind, wo man mit selbst gemachten Häkeldeckchen und diesen mit Lötkolben traktierten Schlüsselborden Eindruck machen kann, hatte Sylvia die Idee mit der Kette. Ein schmaler Reif für den Hals und an diesem Reif mit Goldfassungen versehen: sämtliche Milchzähne von ihr und ihrem Bruder. Jahrelang aufbewahrt in den Tiefen der mütterlichen Frisierkommode und nun ihrer wahren Bestimmung zugeführt. „Passt bestimmt gut zu ihrem fliederfarbenen Rollkragenpullover“, sage ich vermittelnd. Ein Unikat. Eindeutig. Nicht nur wegen des raffinierten Kettenverschlusses mit Haken und Öse, die montiert sind in Sylvias Weisheitszähne.

„Wenn es kein Kannibalismus ist, dann ist es eben nekrophil“, meckert Gisela ungerührt weiter. „Nekrophil hieße“, interveniere ich erneut, „dass Sylvia sich dann spätestens zum Geburtstag ihrer Mutter aus dem Fenster stürzen müsste, damit sie wirklich ‚nekro‘ ist.“ Ich kann es einfach nicht leiden, wenn mit Fremdwörtern Schindluder getrieben wird. „Es sollte eben etwas Individuelles sein“, giftet Sylvia, meine Friedensbemühungen ignorierend, über den Tisch: „Aber du kaufst ja auch bei C&A.“ Sie ist puterrot. Gisela nestelt schnaufend am Blusenkragen.

„Apropos Schmuck“, versuche ich galant, eine neue Wendung in das Gespräch zu bringen: „Ist der Ring neu?“ Ich deute auf Giselas Hand. „Den habe ich von Gernot zum Einjährigen bekommen.“ Ihr Blick hellt sich auf, und sie wedelt divenmäßig mit ihrem Klunker durch die Gegend. „Ist er nicht wunderschön?“ Wenn man auf Felsbrocken steht, vielleicht. „Beeindruckend“, antworte ich vage. „Onyx? Achat?“ Ich kenne mich nicht gut aus in den Gesteins-Grabbelkisten der Eso-Läden. „Viel intimer“, säuselt Gisela und schaut mich selig an. Intimes Gestein? Erbeutet bei Ausgrabungen am Venushügel? „Ein Rohdiamant?“ Irgendwas muss ich ja sagen, um Sylvias nächstem Schlag im Zahnketten-Massaker zuvorzukommen. „Nein“, haucht Gisela errötend, „es ist Gernots erster Gallenstein. Den hat er für mich einfassen lassen. In Weißgold. Mondän, nicht wahr?“

Mondän? Ha! Morbid wäre treffender. Und da wir schon bei Geschenken sind: Vielleicht bekommt Gisela von mir zum nächsten Geburtstag endlich ein Fremdwörterlexikon.