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Archiv-Artikel

Kein Zauberer an der Außenlinie

VON HOLGER PAULER

„Kommen Sie mir ja nicht mit Voodoo“, sagt Joachim Schubert mit einem Lachen. Der Bochumer Sportmediziner vertraut auf die klassische Medizin. Die Verantwortlichen des Fußballteams von Togo wohl auch, obwohl das ZDF in einem Vorbericht zur Fußball-Weltmeisterschaft über Togo die Zauberei in den Vordergrund stellte. „Ich habe davon gehört, lasse mich aber nicht verunsichern“, sagt Schubert. Der togolesische Fußballverband hat sich für das vom 9. Juni bis zum 9. Juli in der Bundesrepublik stattfindende Sportevent die Dienste des 52-Jährigen gesichert.

Er schaut mit Vorfreude auf das Turnier. „Und, fit für die WM?“ ruft ein älterer Mann vom Laufband in Schuberts Praxis herüber. Dessen Augen leuchten hinter der Brille. Die Mundwinkel hochgezogen, schwebt Joachim Schubert durch die Räume. Am Wochenende werden die Togolesen als erstes der 32 teilnehmenden Teams ihr Trainingslager in Deutschland aufschlagen. Und Schubert ist dabei. Morgen reist er zur Mannschaft nach Wangen im Allgäu. Was ihn dort erwartet, wisse er noch nicht. „Am Sonntag sehe ich die Mannschaft zum ersten Mal im Einsatz.“ In Amsterdam. Dort haben sich die Westafrikaner zu einem Testspiel mit Saudi-Arabien verabredet. Was kann das Team erreichen? No comment. „Ich möchte das Vertrauen der Mannschaft, der Spieler und der Verantwortlichen“, sagt er mit ruhiger Stimme.

Das Vertrauen etlicher Bundesligaspieler hatte Schubert bereits, so etwa das des Senegalesen Souleman Sané, einst Kicker bei Wattenscheid 09 und dem SC Freiburg, oder des Ghanaers Anthony Baffoe, einst Profi bei den Fortunen aus Düsseldorf und Köln sowie beim 1. FC Köln. „Der Kontakt zu diesen Spielern ist nie abgerissen.“ Als ehemaliger Mannschaftsarzt des VfL Bochum hat sich Schubert in der Fußballwelt einen Namen gemacht. Er ist spezialisiert auf Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen sowie Schmerztherapie. Alles was der Fußballer braucht.

Der Kontakt zu Togo kam über den Ex-Gladbach- und Duisburg-Profi Bachirou Salou zustande. Der Togolese hat Schubert beim derzeitigen Nationalcoach Otto Pfister ins Gespräch gebracht. Pfister habe dann vor zwei Wochen, an einem Freitagabend um 21 Uhr angerufen, berichtet Schubert. „Für mich war sofort klar, dass ich das Angebot annehme.“ Vor seiner endgültigen Zusage musste er aber noch seine Kollegen befragen – denn die hatten ein Vetorecht. „Hier läuft alles gemeinschaftlich, die Kollegen wollten mir aber diese einmalige Chance nicht nehmen.“

Keine „Verkleidung“

Schubert arbeitet in einem Privatärztlichen Praxiszentrum, das in der sechsten Etage des B-Gebäudes der Medizinischen Fakultät an der Universität Bochum untergebracht ist. Der Blick über das grüne bergische Ruhrtal lenkt von der 60er-Jahre Plattenbauweise der Massenuni ab. Neun Mediziner arbeiten hier als Voll- oder Teilzeitkräfte: Sportmedizin, Innere Medizin, Psychologie, Homöopathie oder Thai-Massagen stehen auf dem Programm. „Wer möchte, kann morgens hierher kommen und dann bis mittags alle Stationen durchlaufen“, sagt Schubert. „Bis die Diagnose steht.“ Ganz nach dem Vorbild alter Polykliniken.

Ein außen angebrachter Glasaufzug bringt Gäste nach oben. Die Patienten warten im gemütlichen Wohnzimmer-Ambiente der Praxis. Holzstühle, Couch, in der Mitte steht ein Holztisch, darauf mehrere Obstschalen: Birne, Bananen, Äpfel. An der Wand hängen Bilder: abstrakt bis lyrisch. „Wir wollen, dass es den Menschen gut geht.“ Auf eine „Verkleidung“ verzichten Doc Schubert und Kollegen. Keine weißen Kittel oder Hosen. Er begrüßt seine Gäste im grünen T-Shirt und in Jeans. Der Arzt spricht bedächtig, präzise, die Lage immer unter Kontrolle. Auch dann, wenn die Sprechstundenhilfe mit Cappuccino den Raum betritt und, vom Besuch überrascht, fast die Tassen fallen lässt. „Kein Problem! Wo waren wir stehen geblieben?“

Mit Bochum abgestiegen

„Wir wollen ein Vertrauensverhältnis zu den Patienten aufbauen.“ Dazu gehört auch, dass über das Behandlungshonorar gesprochen wird. „Wir dürfen Patienten nicht kassenärztlich abrechnen, richten uns aber nach dem Geldbeutel unserer Gäste.“ Studenten zahlen 20 Euro, „normale“ Verdiener das Doppelte. Es komme auch schon einmal vor, dass Leute 200 Euro bezahlen, wenn sie mit der Behandlung zu frieden seien.

1997 übergab Schubert seine alte Praxis im Bochumer Stadtteil Stahlhausen an einen Kollegen und wechselte Richtung Uni. Zwei Mitarbeiterinnen unterstützten ihn bei der 80 Stunden-Woche. Dazu der Job als Teamarzt des VfL Bochum. Die permanenten Bundesliga-Comebacker hatten 1997 wohl ihr erhabenstes Jahr. Als Aufsteiger erreichten sie den Uefa-Cup und scheiterten erst im Achtelfinale an Ajax Amsterdam. „Das war die emotional schönste Zeit“, schwelgt Schubert in Erinnerungen. Schon wieder lächelt er. Wie eigentlich immer.

Mit dem damaligen Bochum-Trainer Klaus Toppmöller verbindet ihn noch heute ein freundschaftliches Verhältnis: „Mit ihm konnte man lachen, weinen und feiern. Er ruft heute an, wenn er einen Rat braucht.“ Seit Februar dieses Jahres ist Toppmöller Nationaltrainer von Georgien und er vertraut auch hier auf den medizinischen Rat von Schubert.

In die Zeit beim VfL Bochum fällt auch das vermeintlich dunkelste Kapitel seiner Karriere: Am sechsten Spieltag der Saison 1998/99 trat der Club beim 1.FC Kaiserslautern an. Nach einem 0:2 Rückstand gewannen die Bochumer mit 3:2. Aufregender war die Vorgeschichte: In der 39. Minute prallte VfL-Keeper Thomas Ernst mit dem Lauterer Michael Schjönberg zusammen. Letzterer brach sich das Bein, Ernst bekam in der Pause von Joachim Schubert ein Kreislaufmittel verabreicht: Carnigen. Das Problem war, dass eine Zutat des Medikaments auf der Dopingliste des DFB stand. „Pseudo-Ephedrin ist aber definitiv kein Doping, der DFB wollte sich damals nur nicht auf den feinen Unterschied zwischen Ephedrin und Pseudoephedrin einlassen“, sagt Schubert. Das Mittel habe keinerlei stimulierende Wirkung.

Der VfL durfte die Punkte trotzdem behalten. Auch weil Lauterns Coach Otto Rehhagel damals mit dem Ägypter Hany Ramzy einen vierten „Nicht-EU-Ausländer“ aufs Spielfeld geschickt hatte; drei waren erlaubt. Heute könne er über den Vorfall nur noch lachen, sagt Schubert. Schon wieder. Damals war es ernster. Die Bochumer stiegen jedenfalls am Ende der Saison ab und Schubert hörte beim VfL auf.

Mitgefühl

Dennoch hat er weiterhin ein gutes Verhältnis zum Verein. Vorstandsmitglieder und auch ehemalige Spieler schauen vorbei. Außerdem besitzt die Praxis zwei Dauerkarten. Auch zum ehemaligen Physiotherapeuten des VfL Bochum, Madjid Glatz, ist der Kontakt nicht abgebrochen. „Madjid ist ein hervorragender Masseur“, sagt Joachim Schubert. Leider oft auch allzu impulsiv. Das ehemalige Mitglied der iranischen Ringernationalmannschaft musste den VfL Bochum vorzeitig verlassen. Am 29. Spieltag der Saison 1994/95 spielte der VfL gegen Eintracht Frankfurt. Ein Sieg im Abstiegskampf musste her. Die Bochumer verloren das Spiel und ihren Masseur gleich mit. Glatz trat in der 70. Minute dem damaligen Frankfurter Rudi Bommer auf den Fuß. Dieser revanchierte sich mit einem Tritt in den Hintern. Bommer sah rot. Glatz wurde wegen wiederholter Ausraster entlassen. Später knetete er die Spieler von Werder Bremen und Wolfsburg. Eigentlich wollte er bei der WM das Team des Iran unterstützen, doch der Verband zeigte kein Interesse. „Madjid ist tief enttäuscht“, sagt Joachim Schubert mit belegter Stimme. Sein ernster Gesichtsausdruck unterstreicht das Mitgefühl. Es ist das erste Mal, dass der Doktor nicht lächelt.

Das Team von Togo wartet

„Ich bin ein Bochumer geworden“, sagt Schubert. Als er vor 23 Jahren aus Bayern ins Ruhrgebiet kam, wollte er eigentlich nur drei Jahre bleiben. Daraus ist nichts geworden. Es habe sich ein tiefes Vertrauensverhältnis zur Stadt und zu den „ehrlichen, direkten Menschen“ entwickelt, so Schubert. Die Basis seiner Arbeit, seines gesamten Lebens.

Der Präsident des russischen Erstligisten Rotor Wolgograd kommt einmal im Jahr zur Routineuntersuchung eingeflogen. Und auch die Schauspieler des Schauspielhauses Bochum hören auf seinen Rat. Schubert zieht Parallelen: „Ich vergleiche gerne den Intendanten mit dem Trainer und die Schauspieler mit den Profis. Alle müssen vor einem erwartungsvollen Publikum ihre Leistung bringen.“ Ein gesunder Körper sei die Grundvoraussetzung, damit beide Berufsgruppen ihre Arbeit verrichten könnten. Manchmal reiche schon ein Handgriff, um das Unwohlsein der sensiblen Künstler zu beheben. Schubert ist Chiropraktiker: Er stellt sich hinter die Person, Hände um den Bauch, ein Ruck, ein Knacks, schon fühlt sich der Patient wie neu geboren. Auch der ehemalige Intendant des Schaupielhauses, Matthias Hartmann, schätzt diese Fähigkeiten. Schubert ist häufig in Zürich, Hartmanns aktueller Wirkungsstätte. „Ich kann sicher sein, dass dort immer ein Schauspieler auf mich wartet, der sich behandeln lassen will.“

Jetzt warten aber zunächst einmal die Spieler von Togo, einem autoritär regierten Land im Westen Afrikas, auf ihn. Keine Skrupel? „Ich hoffe, dass durch die WM die Öffentlichkeit verstärkt auf dieses Land schauen wird“, sagt Joachim Schubert.