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Archiv-Artikel

Erregungskurven verstärken

Das Theater und sein Unbewusstes: Eine Spur des Verborgenen zieht sich durch Chris Kondeks Bilder, Videokünstler an der Seite von Regisseuren und Choreografen. Seine Bilder sind lebendige Mitspieler. Inzwischen macht er auch eigene Stücke. Ein Porträt

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Das Zittern einer Tasse: Es sind oft die kleinen Dinge, an denen sich große Bewegungen ablesen lassen. Das Zittern einer umgestülpten Tasse erschien als Videobild groß über einer Tür in Meg Stuarts Tanzstück „Visitors Only“ und verstärkte die Erwartung einer Katastrophe in einem Bühnenbild, das wie ein halb abgerissenes, halb im Boden versunkenes Haus aussah. Dann wieder wirkte die Tasse wie ein Mund, der die Tänzer, die durch die Tür schlüpften, gebar, und ihr Zittern mutete plötzlich wie der ruckelnde Rhythmus eines Slapsticks im Stummfilm an, abgespielt mit falscher Geschwindigkeit.

Es ist oft diese Mischung zwischen dem Unheimlichen und dem Nichtperfekten, mit der Chris Kondek, Videokünstler an der Seite von Regisseuren und Choreografen, in das Geschehen auf der Bühne eingreift. Kondek, geboren 1962 in Boston, begann 1988 bei der Wooster Group in New York mit Video zu experimentieren. Ein Jahr lang saß er mit der Performerin Laurie Anderson in ihrem Studio und lernte fast jede Woche Neuheiten kennen, die Spezialisten der Technik der Performerin anschleppten. Er hat mit dem Komponisten Michael Nyman und dem Regisseur Robert Wilson gearbeitet. Seit 1999 lebt Kondek in Berlin und war bei Produktionen von Matthias von Hartz, Jossi Wieler, mit dem er demnächst wieder in Amsterdam an der „Hochzeit des Figaro“ arbeitet, von René Pollesch und vor allem von Meg Stuart und Stefan Pucher beteiligt.

Eine Spur des Verborgenen und Unbewussten des Theaters, der Intimität hinter den Kulissen, zieht sich durch seine Bilder. „Das kann man nicht planen“, sagt er, „das Stück existiert ja noch nicht, wenn ich anfange. Ich komme zu den Proben wie ein leeres Blatt.“ Was sich darauf einträgt, ist oft eine Reflexion der allmählichen Entwicklung und Veränderung des Stückes.

In dem großartigen „Othello“ von Stefan Pucher sorgten die Videoszenen für die Vielschichtigkeit des Konzepts – zum einen genutzt für eine Steigerung der Emotionalität, einem Kriechen in die geheimsten Winkel, zum andern für ein ständiges Öffnen des Raums, eine Verknüpfung der Situation auf der Bühne mit dem Leben außerhalb des Theaters. So wird Kondeks Arbeit für Pucher vor allem zu einem Mittel, die Transparenz des Theaters zu erhöhen und die Durchlässigkeit der Stücke für die Gegenwart zu steigern. Nicht zuletzt, weil die eigene Position als Theater im Raum der Stadt und im Rauschen der Medien sichtbar wird.

„Jedes Bild existiert heute schon, man muss es nur finden“, sagt Kondek, der viel mit found footage arbeitet. Manchmal, wenn er an ein neues Theater kommt, wundert ihn der Aufwand der teuer erworbenen Technik. Da werden Kamerateams an die Ostsee geschickt für Bilder, die es längst schon gibt. Er selbst sitzt manchmal Stunden an der Bearbeitung eines Bildes, um die Farbe, die Größe, den Ausschnitt, das Tempo zu bestimmen – da ist dann irgendetwas, was ihn verfolgt, keine Ruhe gibt und erst langsam konkrete Gestalt annimmt. Wie eine Gespensterjagd klingt das.

Videobilder als Kulisse herzustellen, so festgelegt und fertig wie ein Bühnenbild, interessiert ihn nicht. Er liebt die Arbeit am Labtop, das Reagieren auf die Schauspieler, das Zusammenspiel mit ihnen. „Bis zur letzten Minute sind die Bilder austauschbar.“ Damit bringt er eine Spannung in die Arbeit auf der Bühne, die die Wachheit herausfordert. Er konkurriert nicht mit Tänzern und Schauspielern. Die Korrespondenzen, die sich zwischen ihrem Spiel und seinen Bildern ergeben, sind oft unmerklich und steigern doch die Aufmerksamkeit für die Präsenz der Körper, den Moment des Jetzt auf der Bühne.

Für sein erstes eigenes Stück, „Dead Cat Bounce“, erhielt er auf dem 6. Festival „Politik im Freien Theater“ gleich zwei Preise, vom ZDF-Theater-Kanal und dem Goethe-Institut. Die Performance funktioniert wie ein Lehrstück über Spekulationen an der Börse: Die Eintrittsgelder werden eingesetzt, um Aktien zu kaufen. Die Produktion ist zu vielen Festivals und thematischen Wochenenden eingeladen, die sich der Suche des Theaters nach dem Realen verschrieben haben.

Zurzeit steckt Kondek viel Zeit in die Entwicklung seines zweiten Stücks als Regisseur, „Hier ist der Apparat“, das im Herbst am HAU herauskommen soll. Ausgangspunkt ist das Hörspiel „Ozeanflug“ von Bertolt Brecht, das Ende der Zwanzigerjahre eine technische Utopie entwickelte: wie das Radio die Menschen zusammenbringt. Dem sind inzwischen viele Träume von der Vernetzung und der Entwicklung neuer öffentlicher Räume gefolgt und der Geschichte dieser Hoffnungen und Enttäuschungen will „Hier ist der Apparat“ in Form einer Late-Night-Talkshow folgen. Dabei geht es nicht zuletzt um den Kampf mit der Technik und die grotesken Anpassungen, die sie dem Menschen abverlangt. Viele Kabel, die zu kurz sind und zum Kriechen in unwürdigen Positionen nötigen, sind schon mal für die Bühne vorgesehen.

Es ist nur ein Hörfehler, aber als Kondek in diesem Zusammenhang von der „history of media“ redet, verstehe ich zunächst „hysteria of media“, ohne mich zu wundern. Wahrscheinlich, weil mich noch seine Bilder aus Meg Stuarts letzter Produktion, „Replacement“, verfolgen. Da war er zum Gehilfen eines Albtraums geworden und die Technik zum Instrument der Überwachung. „Replacement“ malte eine grausame Fiktion aus, vom Menschen als Laborratte, in der jeder Beobachter schließlich selbst zum Beobachteten wurde. Aber die „history of media“, Kondeks eigenes Stück, verspricht glücklicherweise viel lustiger zu werden.