piwik no script img

Archiv-Artikel

So stellt man sich Boheme vor

KUNST Von den sorglosen Fingerübungen eines Kunststudenten bis zu Studien in ganz anderer Dringlichkeit – die aus Einar Schleefs Nachlass zusammengestellte Ausstellung „Kontainer Berlin“ in der Pankower Galerie Parterre gilt dem Regisseur als jungem Mann

Eine gläserne Zelle, gelb gerahmt, sie wird in vielen Zeichnungen und Goauchen von Einar Schleef zu einem höchst dramatischen Ort. Man sieht sie klein und leuchtend, hoch in die linke Blattecke gerutscht, und genau so in eine Ecke gequetscht steht ihn ihr der Telefonierende. Man sieht sie nachts, von Dunkelheit gefüllt, ein Schemen hinter der Scheibe. Auf einem anderen Blatt ist der Rahmen der Zelle mit den Kanten des Papiers identisch, auf dem alles grau-grün verschwimmt. Wie unter Wasser sieht das aus, eine Welt, ohne Luft zu atmen.

Viele dieser „Studien Telefonzelle“ sind über die Wände der Galerie Parterre zwischen andere Zeichnungen gestreut, Zeichnungen von Männer- und Frauenakten, von Straßenecken und Kneipenszenen. Fingerübungen eines Kunststudenten, lässig und sorglos gezeichnet in den sechziger Jahren. Die Telefonzellen sind anders, von einer anderen Not getrieben, wieder und wieder aufs Blatt geworfen zu werden. Sie sind datiert Ende der 70er Jahre. Da versuchte Einar Schleef, der 1976 die DDR verlassen hatte, in Frankfurt am Main und in Westberlin einen zweiten Anfang als Künstler.

Einar Schleef, Bühnenbildner, Regisseur, Schriftsteller und obsessiver Tagebuchschreiber, fotografierte, malte und zeichnete auch. 1992 zeigte er an der Akademie der Künste noch in Ostberlin einen großen Ausschnitt aus seinem Werk – und auch in seiner eigenen Auswahl tauchte die Telefonzelle wiederholt auf.

Anfangs unbekümmert

Die Ausstellung „Kontainer Berlin“ ist aus dem Nachlass des 2001 gestorbenen Künstlers entstanden: 6.744 Arbeiten auf Papier hütet die Moritzburg Halle, hinzu kommen Leinwandbilder und ein Einar-Schleef-Archiv in der Akademie der Künste. Anders als die von ihm selbst inszenierten Ausstellungen betont sie mit den vielen Skizzen die Unbekümmertheit seines zeichnerischen Anfangs.

Kneipenstudien zum Beispiel, mit Tusche, Kreide und Kugelschreiber festgehalten, ein dichtes Gedränge von Körpern: So stellt man sich die Boheme vor, ein Ort von Intimität und Kreativität. Man sieht Musiker an ihren Instrumenten, Akte und immer wieder Akte, einmal auch Hühner. Irgendwann stellt man sich vor, dass ähnliche Blätter schon Jahrzehnte vor Schleef die Mappen von Kunststudenten gefüllt haben und das auch heute noch tun.

Was das Besondere gerade dieses Künstlers war, dieses Wanderers zwischen Ost- und Westdeutschland, dem das Leben als qualvoller Hindernis-Parcours zusetzte, das ahnt man in dieser Ausstellung hingegen nur an wenigen Stellen. Man muss ihn dazu schon kennen oder in dem zugehörigen Buch „Kontainer Berlin“ lesen.

In der Ausstellung weisen Filme von Alexander Kluge mit und über Schleef darauf hin – zum Beispiel von seiner Inszenierung von „Faust 2“. Die sollte 1994 im Schillertheater herauskommen, aber das wurde über Nacht geschlossen, eingespart vom Berliner Senat. Schleefs Theaterchor spielte nachts vor dem geschlossenen Haus auf der Treppe. Da viele Szenen von „Faust 2“ sich um das Schuldenmachen drehen, passte das kolossal.

Einer noch zu DDR-Zeiten abgesetzten Inszenierung von „Fräulein Julie“, für die Schleef 1975 das Bühnenbild am Berliner Ensemble gemacht hatte, gilt ein Gespräch mit dem Regisseur B. K. Tragelehn, dem Schauspieler Jürgen Holtz und weiteren von der harschen politischen Reaktion auf ihre Strindberg-Inszenierung Betroffenen am 14. November in der Galerie Parterre. Dann wird sicher plastischer, welche Hürden Schleef immer wieder zu nehmen hatte, ihm in den Weg gelegt im Osten wie im Westen Deutschlands.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ „Kontainer Berlin“: Galerie Parterre, Danziger Str. 101, Mi.–So. 13–21 Uhr, Do. 10–22 Uhr, bis 19. Januar 2014. Mit Begleitprogramm: www.galerieparterre.de