Eines harten Tages Nacht

Jackpot in der Pete-Lotterie: Doherty kam, sah und spielte mit seinen Babyshambles ein erst erstaunlich souveränes, dann immer mehr ausfransendes Konzert im ausverkauften Columbia Club

von RENÉ HAMANN

Es wurde spät, aber immerhin: Es wurde. Glamourboy Pete Doherty hat es über den Kanal geschafft, und nicht nur das – er hat ein Konzert gegeben. In Berlin. In der Nacht auf Freitag. Mit seiner soliden, stets aufmerksamen und gut improvisierenden Band, den Babyshambles. Was dafür alles zusammenkommen musste, weiß man nicht. Wie man überhaupt nicht viel weiß: Dohertys Dasein besteht im Wesentlichen aus gut gestreuten Gerüchten, den nötigen Hinterhalten und steten Überraschungen. Und dieser Extraportion Sternenstaub, die aus dem bleichen Sgt.-Pepper-Uniformträger und Libertines-Gitarristen erst dieses unberechenbare, Mitleid erregende, kumpelhafte Vorzeigewrack gemacht hat, als das er – absichtlich oder nicht – durch die Weltgeschichte jettet.

Sein Leben muss ein hartes sein. Seinen größten Freund, den wesentlich sympathischeren, weil bodenständigeren Carl Barat, hat er schon aufgeben müssen. Um seine Freundin, das bekannte Modell, mit dem er alles zu teilen bereit war, vom Bett bis zum Dealer, kämpft er noch. Von einem Entzug, von einer Vermischtes-Meldung zur nächsten. Was hilft, ist die Musik. Die ist inzwischen so fragmentarisch, dass Pete Doherty bedenkenlos ein- und aussteigen kann. Anders als mit den Drogen. In der Musik hat er eine große Könnerschaft erreicht – als Meister der offenen Form. Die Songs dängeln so daher, brechen plötzlich aus, fallen wieder in sich zusammen. Dann kommt etwas Grungerock, dann etwas Ska und darüber immer wieder seine einzigartige Stimme, die an diesem Donnerstagabend so sehr nach Jarvis Cocker klang wie noch nie.

Die Fans machen das alles mit. Setzen sich alberne Hüte auf, ziehen sich affige Krawatten an, wollen gute Part-Time-Punks sein, die auch mal in der Bahn rülpsen und rauchen. Die Mädchen kaufen sich Bier in der Tanzschule und bleiben eine Spur unauffälliger, harren aber aus, bis das Konzert über die Bühne ist. Könnte ja sein, dass man ihn nie wiedersieht.

Es war ein harter Tag. Für alle. Auch für den Berichterstatter. Rock 'n' Roll halt. Der zeitliche Ablauf im Einzelnen:

12.00 Uhr: Redakteur ruft an, ob ich nicht zum Babyshambles-Konzert wolle. Karte wird hinterlegt.

17.00 Uhr: Info, dass das Konzert in Köln ausgefallen sei. P. habe „den Flieger verpasst“. 400 enttäuschte Fans vor Ort. Ob das Konzert in Berlin stattfinden werde, sei unklar.

18.45 Uhr: Nach einigem Hin und Her der Anruf: Konzert fände statt. P. säße im „Privatjet“.

21.03 Uhr: Columbia Club. Freudig wartende, leicht skeptische Menschentraube. Warten in Grillluft. Allerlei Fernsehteams anwesend: TD1, RBB, MTV, Sat.1. Gerücht: P. sei in London nicht in den Flieger gelassen worden, da er zu betrunken gewesen sei.

21.46 Uhr: Ein Abgesandter des Veranstalters gibt bekannt, dass die Karten zurückerstattet werden, sollte „der Künstler aus welchem Grund auch immer“ nicht erscheinen. Allgemeine Empörung.

22.15 Uhr: The Roosters betreten die Bühne. Ordentlich. Sehen aus wie mit der Vespa angereist. Kommen nicht umhin, sich als deutsche Band zu enttarnen. Ganz wie in den 60ern: Deutsche Provinzband ahmt englische Provinzband nach. Am Ende covern sie „Jumpin’ Jack Flash“. Auf die Idee, Kate Mosh als Vorband zu engagieren, ist natürlich niemand gekommen.

22.50 Uhr: Roosters fertig. Weiter warten: Kommt er, kommt er nicht?

23.28 Uhr: Neue Info: P. sei auf dem Weg. Landung in Schönefeld. Erst heißt es: halb eins, dann ein Uhr on stage.

0.30 Uhr: Halle komplett voll. Erste Anfeuerungs- bis Unmutsbekundigungen.

1.10 Uhr: Sensation! Band betritt mitsamt P. die Bühne. Menge tobt. Bier spritzt, Becher fliegen. P. trägt Lokomotivführerhut und Union Jack. Schwankt umher, sieht kreidebleich aus. Begrüßt Drummer mit Umarmung. Ab Stück drei greift er zur Gitarre und ist fortan Chef im Ring. Erstaunlich souveränes Konzert.

2.20 Uhr: Konzert geht ohne größere Zwischenfälle zu Ende. Halbstündiges Erklatschen einer Zugabe folgt.

2.50 Uhr: Zugabe. P. nahezu komplett jenseits, dann wieder plötzliches Sich-Fangen. Von einem Stück zum andern. Klingt zunehmend wie schlechte Probe.

3.10 Uhr: Der letzte, mickrige Ton. P. verneigt sich, entledigt sich seiner Ringe, wirft sie ins Publikum, verschwindet. Arbeitslicht. Publikum strömt glücklich nach draußen.

4.45 Uhr: Nach langer Nachtbusfahrt erreicht Berichterstatter die eigene Wohnung.

Es war eines harten Tages Nacht. Rock 'n' Roll halt.