Wolkenzellen fürs Bürgerhaus

Die Frankfurter Kunsthalle Portikus geht in ihre dritte Phase. Nach zwei Umzügen eröffnete die 140. Schau im Neubau an der Alten Brücke. Architekt Christoph Mäckler ist ein harmonischer Spagat zwischen Historie und moderner Kunsthalle geglückt

Ein Steg zur Kunst: Christoph Mäcklers Portikus bewegt sich weg von einer minimalistischen Museumsarchitektur

VON HORTENSE PISANO

Die Disneyfizierung der Postmoderne ist auf dem Balkan angekommen. Wie das östliche Pendant zu Michael Graves’ Dolphin Hotel in Florida wirkt der bunte Stilpluralismus des Priština-Wohnhauses. Die slowenische Künstlerin Marjetica Potrč hat es modellhaft in die vor einer Woche eröffnete Frankfurter Kunsthalle Portikus bauen lassen. In Kontrast zu dem von Christoph Mäcklers vom Spitzdach bis zu den Wasserhähnen durchgestalteten Neubau passt im Priština-Haus kein Stein zum anderen. Backsteine bilden eine Mauer um das sattgelbe Haus. Eine Straßenlaterne wurde ins Grundstück integriert und erhellt die Eingangstür.

Potrč greift hier, wie oft, in ihren Projekten alternative Wohnideen auf. Das selbst erschaffene Idyll, so zeigt sie, ist provisorisch gezimmert und äußerst instabil. Unbehagen stellt sich ein, sobald man die Videokameras auf der Außenmauer entdeckt. Der im viktorianischen Zuckerguss-Dekor verzierte Privatbesitz ist ebenso streng überwacht wie Vorstadthäuser in Florida. „In drei Zonen ist Priština seit dem Kosovokrieg aufgeteilt – in die albanische, slowenische und die UN-Zone. Überall wird schnell und viel gebaut“, sagt Potrč, „die Regierung hat daher keine Kontrolle über das, was meist in privater Initiative entsteht.“

Nicht nur im kriegsgebeutelten Kosovo, selbst in Holland registriert Potrč eine Abkehr vom Modernen Bauen und, wie ihre Wandarbeit und Zeichenserie abbilden, den geradezu absurden Wildwuchs regionaler Stile. Dass die einheitliche Sprache der Moderne aufbricht, möchte Potrč weniger bewerten als dokumentieren. In seinem Aufsatz „No More Learning from Las Vegas“ (2002) sieht der Berliner Architektursoziologe Werner Sewing die Erosion der holländischen Moderne darin begründet, dass die staatlichen Subventionen zurückgefahren wurden. Auch in Frankfurt hat die rekonstruierte Alte Stadtbibliothek eine Debatte über neokonservative Bau-Tendenzen entfacht. Die 1987 von Marie-Theres Deutsch und Klaus Dreißigacker konzipierte Kunsthalle Portikus, ein Containerbau hinter der im Krieg zerstörten Stadtbibliothek, galt bis zu ihrem Abriss 2003 als elegante Lösung. Der offen zu Tage tretende Dualismus zwischen neoklassizistischer Fassade und Hallenkern, pompöser Restarchitektur und Zweckbau war ein Bravourstück.

Wenige Meter von seinem einstigen Standort entfernt hat Christoph Mäckler den Portikus neu errichtet. Statt korinthischer Pfeiler führt nun ein Steg zur Kunst. Die schmale Grundstücksparzelle befindet sich mitten in einem Naturschutzgebiet und ist malerisch auf einer Maininsel gelegen. Wenn auch stark zurückgenommen, ist die Diskrepanz zwischen Hülle und Hallenkern geblieben. Die rot verputzte und mit vertikalen Kanneluren durchzogene Fassade nimmt Anleihen bei den im gotischen Stil erbauten Bürgerhäusern auf der anderen Mainuferseite. Ein Eindruck, den das historische Spitzdach und die Fensterreihe vertiefen. Größtenteils von Carlo Giersch, einem privaten Bauherrn finanziert, zeigt sich die Kunsthalle untypisch – statt des erwarteten Flachbaus steht man vor einem Bürgerhaus. Mäcklers Portikus bewegt sich weg von einer minimalistischen Museumsarchitektur wie Richard Meiers weißem Kubus für das benachbarte Museum für Angewandte Kunst (1979–85), oder von der Erlebnisarchitektur des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, konzipiert von Architekt Hans Hollein.

Im Vorfeld begründete Mäckler sein Zitieren der regionalen Baukunst mit dem Versuch einer „Neudefinition der Moderne“. Der fertige Portikus ist alles andere als eine gesichtslose Hülle, zumal das Turmhaus den vorhandenen Raum optimal nutzt und wie ein Schiff im Hafen auf der Maininsel ruht. Freilich hätte man sich gerade für den mit der Städelschule verbundenen Ausstellungsraum einen ähnlich kühnen Entwurf gewünscht, wie ihn der erste Portikus mit seiner Containerbox repräsentierte. Solch ein Provisorium ist Mäcklers solider Backsteinbau nicht. Abgesehen von verspielten Details wie einer nach außen verlagerten Treppe ist das Haus aber vor allem im Gebäudeinnern strikt auf seinen Baukörper reduziert. Die neun Meter hohe Halle ist kein fensterloser White Cube, dafür neutral weiß gehalten.

Tageslicht fällt durch die in die Betondecke eingelassenen Glasbausteine und durch die Terrassentür mit Mainblick. Mit einem Stein am Boden gehalten schweben durchsichtige Blasen lose in Netzen zusammengefasst über der Portikus-Decke. Als am Himmel ziehende Wolkenformationen beschreibt der argentinische Künstler Tomas Saraceno sein Projekt „Air-Port-City“. Wäre der Himmel nicht längst auch in Sektoren aufgeteilt, könnte Saracenos Architekturvision sich über nationale Grenzen hinwegbewegen. Die bewohnbare Plattform ist nicht nur mobil. Der Künstler fand Pflanzen, die in der Luft wachsen, und so könnte sich die fliegende Stadt weitgehend autonom von der Erde versorgen. Ist das die Architektur der Zukunft?

„Air-Port-City ist keine reine Utopie.“ Daniel Birnbaum, Direktor des Portikus und der Städelschule, ist begeistert vom Projekt seines ehemaligen Kunststudenten. Mithilfe von Ingenieuren erprobte Saraceno ein Material namens „Aerogel“, das in der Weltraumforschung zum Einsatz kommt. „Aerogel ist leichter als Luft, sodass es durch Solarenergie angetrieben werden kann, was die Luftverschmutzung reduziert“, erklärt Saraceno. Die Nasa habe schon Interesse gezeigt. Bleibt die Frage, ob sich Air-Port-City auch im von Wirtschaftskrisen betroffenen Argentinien verwirklichen lässt. Saraceno zitiert darauf weise ein argentinisches Sprichwort, das besagt: „Wenn am Boden Chaos herrscht, schaust du besser nach oben.“ Sein Modell sucht offenkundig den Weg des geringsten Widerstandes – und schwebt über schwerwiegende Probleme schlicht hinweg. Dabei zeigt aber seine High-Tech-Vision, mit wie viel Leichtigkeit die Architekturklasse der Städelschule – dort hat der junge Künstler studiert – die Utopien eines Buckminster Fuller vorantreibt. Eines der geodätischen Gebilde Saracenos ist der Behausung des Portikus entwichen und hängt in einem Baum auf der Maininsel. Nun sind die beleuchteten Ballons nachts ein strahlender Kontrapunkt zum neuen Ausstellungshaus.

Marjetica Potrč/Tomas Saraceno: „Personal States/Infinite Actives“. Portikus, Alte Brücke, Frankfurt am Main, bis 18. Juni, www.portikus.de