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Archiv-Artikel

Publizistische Einmannguerilla

IDEOLOGIEKRITIK Er traf nicht immer ins Schwarze, aber er bleibt der schärfste und klügste Polemiker der Nachkriegslinken: Wolfgang Pohrt. Ausgewählte Texte sind erschienen

VON FELIX BAUM

Wenn das Geschäft der Ideologen darin besteht, mit der Wahrheit zu lügen, bestand das des Ideologiekritikers Wolfgang Pohrt darin, durch gnadenlose Übertreibungen Wahrheiten zutage zu fördern, die ausgewogeneren Kommentatoren des Zeitgeschehens regelmäßig entgingen. Kaum ein Text aus seiner gut zwei Jahrzehnte währenden Tätigkeit als publizistische Einmannguerilla (auch in der taz), bei dem dem Leser nicht zunächst die Haare zu Berge stehen würden, dessen Befund jedoch am Ende keineswegs als Ausgeburt bemühter Querdenkerei beiseitegewischt werden konnte.

Ob Pohrt in den Berliner Hausbesetzern der frühen 1980er-Jahre Wiedergänger der Trümmerfrauen ausmachte – „eine Jugend, die sich nicht mehr für Che Guevara oder die Revolution interessierte, sondern dafür, wie man ein Waschbecken fachgerecht befestigt“ –, in den Alternativtouristen solche des deutschen Landsers oder in der Friedensbewegung ein deutschnationales Unternehmen, immer traf er, wenn schon nicht ins Schwarze, so doch etwas, was sonst niemand sagen mochte, weil es sich schlecht mit den eigenen Illusionen vertrug.

Das „grüne Braun der Alternativen“ war in den 1980er-Jahren Pohrts Thema schlechthin, der, an Adorno, Horkheimer und Arendt geschult, ein Fortwirken des Nationalsozialismus an den vermeintlich unwahrscheinlichsten Orten entdeckte, vornehmlich auf der Linken. Heute finden sich selbst an den Rockzipfeln der Linkspartei Leute, die aus der Kritik eines linken Antisemitismus ein politisches Programm zimmern wollen.

Anders sah es zu Beginn der 1980er-Jahre aus, als Pohrt zu den wenigen zählte, die gegen die scheinheilige Verbrüderung der deutschen Linken mit den zum „palästinensischen Volk“ verkitschten Bewohnern der von Israel besetzten Gebiete Front machten. Die Kritik des linken Antisemitismus war damals nicht nur marginal, sie kam im Unterschied zu heute auch ohne Idealisierung des Staates Israel aus. Weshalb er sich nicht für einen palästinensischen Staat erwärmen konnte, fasste Pohrt in einem Satz zusammen: „Kein Grund zur Annahme, die Palästinenser würden sich, wenn sie Erfolg hätten, anders verhalten als die Israelis.“

Erst der Golfkrieg 1991 ließ bei Pohrt eine Sicherung durchbrennen und ihn die Hoffnung zu Protokoll geben, Israel möge sich notfalls mit dem Einsatz von Kernwaffen verteidigen. Schule gemacht in der deutschen Linken hat jedoch nicht der linksradikale Staatsgegner, sondern der prowestliche Realpolitiker und Militärstratege Pohrt, auch wenn sich sein Werk auf ein paar gedankenlos hingeschriebene, von ihm später offenbar bereute Sätze reduziert. Doch war er um Schadensbegrenzung bemüht. Bei einem 2003 gehaltenen Vortrag in Berlin ließ Pohrt dem martialischen Motto der Veranstaltung – „Deutschland verraten!“ – mit einer schlichten Frage die Luft raus: „An wen denn?“

Die Antwort – dass alle Hoffnung auf einen westlich-zivilisierten Kapitalismus, der dem zum Faschismus neigenden deutschen in die Parade fahren könnten, auf Sand gebaut sei – hatte er bereits zehn Jahre zuvor in einem Essay gegeben, der in der nun erschienenen Auswahl aus seinen Schriften leider fehlt. „Waren die Landsleute bislang die Kinder ihrer Eltern, so werden sie nun zu Kindern ihrer Zeit“, lautete der Befund, mit dem Pohrt sein bisheriges Interesse an den Besonderheiten Deutschlands für obsolet erklärte. Nicht jedoch aufgrund einer Zivilisierung Deutschlands, die den wackeren Ex-68ern zu verdanken wäre, sondern – umgekehrt – weil der in Zerfall, Chaos und Bandenkriege übergehende Spätkapitalismus die traditionelle Skrupellosigkeit deutscher Großmachtpolitik zu einer unter Staatsführern allgemein bewunderten Tugend machte. Es genügt ein Blick auf das griechische Drama, in dem die Bundesregierung als Zuchtmeister vorprescht, damit aber das Interesse der kapitalistischen Staaten insgesamt vertritt, um die Aktualität dieser Diagnose zu ermessen.

■ Wolfgang Pohrt: „Gewalt und Politik. Ausgewählte Reden & Schriften 1979–1993“. Hrsg. von Klaus Bittermann. Edition Tiamat, Berlin 2010, 448 Seiten, 22 €