: Augenzeuge des Massenmords
Vor einem Jahr ließ die usbekische Regierung hunderte regimekritische Demonstranten von Truppeneinheiten erschießen. Vor den Augen der Presse
AUS BISCHKEKMARCUS BENSMANN
Der Angriff auf die eigene Bevölkerung erfolgte in den Abendstunden. Vor einem Jahr am 13. Mai ließ die usbekische Regierung in Andischan aus vorbeifahrenden Panzerwagen eine mehrtausendköpfige Menschenmenge zusammenschießen. Die Bürger, die sich in der usbekischen Provinzhauptstadt zu Protesten gegen die Willkürherrschaft des usbekischen Präsidenten Islam Karimow versammelt hatten, wurden nicht gewarnt. Die Salven aus den Maschinengewehren jagten wahllos in die vor Panik rennenden Männer, Frauen und Kinder. Der Autor gehörte zu den wenigen Journalisten die Augenzeugen des Massakers wurden.
Der Aufstand von Andischan entzündete sich an dem Prozess gegen 23 Geschäftsleute, ihnen wurde die Gründung einer extremistische Bewegung vorgeworfen. In Andischan wehrten sich die Familienangehörigen und die Arbeiter der Geschäftsleute gegen die willkürlichen Verhaftungen. Als im Februar 2005 der Prozess gegen die Männer begann, demonstrierten mehr als 2.000 Menschen fast täglich friedlich vor dem Gerichtsgebäude. Üblicherweise werden in Usbekistan Demonstrationen mit dem Schlagstock auseinander getrieben und die Gerichtsgebäude bei so genannten Terrorprozessen weiträumig abgesperrt. Nicht so in Andischan. Die Menschen konnten bis zum 11. Mai 2005 vor dem Gerichtsgebäude ungestört und gewaltfrei demonstrieren. Im Gerichtsaal beteuerten die Angeklagten trotz Folter und Drohungen die Unschuld. Der Staatsanwalt musste die Anklagepunkte des Terrorismus und der Verfassungsfeindlichkeit zurückziehen. „Die Männer haben nichts begangen“, erklärte der usbekische Ankläger, man müsse sie jedoch gleichwohl verurteilen.
In der Nacht zum 13. Mai eskalierte die Gewalt. Bewaffnete Männer sollen zuerst eine Kaserne gestürmt haben, dann mit den zusätzlich erbeuteten Waffen in das Gefängnis eingedrungen sein und sowohl die 23 Angeklagten als auch andere Einsitzende befreit haben. Danach erstürmten die Aufständischen das Gouverneursgebäude in Andischan und nahmen Geiseln. Am Morgen versammelten sich dann auf dem Platz neben dem besetzten Gouverneursgebäude mehrere tausend Männer, Frauen und Kinder. Als der Korrespondent gegen 11 Uhr aus Taschkent in Andischan ankam, sah er nur wenige Bewaffnete unter den Andischaner Bürgern. Der Journalist hat keine ausländischen Kämpfer ausmachen können und hat während der gesamten Demonstration keinerlei „Allah u akbar“-Rufe oder die Forderung nach der Errichtung eines islamischen Staats vernommen.
In Usbekistan setzte Karimow – nach den erfolgreichen farbigen Revolutionen in Georgien, Ukraine und Kirgistan – kaltblütig auf Massenmord zum Machterhalt. Das hindert die Bundesregierung nicht, nach dem Massaker von Andischan an der Militärbasis im usbekischen Termes festzuhalten und die Bundeswehrsoldaten zu Waffenbrüdern des usbekischen Schreckenregimes zu machen.
Unter dem Titel: „Kugel fielen wie Regen“ rekonstruierte später die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch den tödlichen Verlauf des Mordens. Nachdem von Panzerwagen aus das Feuer eröffnet und der Hauptplatz vor dem Gouverneursgebäude umstellt wurde, rannten die Menschen in Panik über die Cholponstraße in die Falle. Dort wurden sie von wartenden Truppeneinheiten zusammengeschossen. Die BBC nahm von dem Massaker Tonaufnahmen über ein Mobiltelefon auf. Man hört Salven von Maschinengewehren und Geschützen. Aus der Menge ertönt das Flehen „otmanlar“, Usbekisch für „nicht schießen“. Unter dem Kugelhagel beginnen die Menschen zu beten, die Stimmen werden weniger. Die Aufnahme endet als der Halter des Telefons getroffen zur Erde sinkt. Nach Schätzungen von Human Rights Watch kamen weit mehr als 700 Menschen ums Leben, während die usbekische Regierung lediglich von 187 Toten spricht.
Nach dem Massaker begann die usbekische Regierung die Wahrheit zu vertuschen. Der Präsident Islam Karimow bezichtigte die Journalisten der Lüge. Auch der usbekische Staatsanwalt griff während des Schauprozesses gegen die angeblichen Drahtzieher des Andischaner Aufstands vor allem die Journalisten an. Sie hätten zusammen mit al-Qaida, islamistischen Gruppierungen und internationalen Nichtregierungsorganisationen an einer Verschwörung gegen den Staat gewirkt.
Der Staat – schon vor dem Massaker einer der repressivsten Staaten der ehemaligen Sowjetunion – zog daraufhin die Zügel straffer. Über das Jahr mussten ausländische Medienunternehmen wie BBC und Radio Free Europe das Land verlassen. Einheimische Journalisten und Menschenrechtler wurden außer Landes getrieben, eingeschüchtert oder verhaftet. Das UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) wurde aus Usbekistan verwiesen.
Dem UNHCR war es zu verdanken, dass 400 Flüchtlinge aus dem benachbarten Kirgisien Ende Juli 2005 nach Rumänien evakuiert wurden. Der usbekische Staat hatte massiv die Auslieferung der Usbeken gefordert, die einen Tag nach dem Massaker in das südliche Kirgisien flüchten konnten. Zurzeit versucht das UNHCR die Auslieferung von fünf Usbeken aus der Untersuchungshaft in der südkirgisischen Stadt Osch in usbekische Folterkammern zu verhindern.
Ohne den absurden Prozess gegen 23 Geschäftsmänner wäre es nie zu dem Aufstand und dem Massaker von Andischan gekommen. Die Willkür des usbekischen Staats und nicht extremistische Gruppen bereitete den Boden für Instabilität und Chaos.