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Archiv-Artikel

Die Minderheit kann Mehrheit werden VON LEO TROTZKI

Selbstverständlich sind wir für eine allseitige Untersuchung und dafür, dass über jede Frage von jeder lokalen Parteiorganisation, von jeder Parteizelle abgestimmt wird. Aber gleichzeitig muss jeder Delegierte, der von einer lokalen Organisation gewählt wird, das Recht haben, alle Argumente zu einer Frage auf dem Parteitag abzuwägen und zu stimmen, wie es seine politische Ansicht von ihm verlangt.

Wenn er auf dem Parteitag gegen die Mehrheit stimmt, die ihn delegiert hat, und wenn er seine Organisation nach dem Parteitag nicht von der Richtigkeit überzeugen kann, kann die Organisation ihm danach ihr politisches Vertrauen entziehen. Solche Fälle sind unvermeidlich. Aber sie sind ein unvergleichlich geringeres Übel als ein System von Referenda oder imperativen Mandaten, die die Partei als Ganzes völlig abtöten.

Jede Frage wird durch die Methoden der möglichst vollkommenen Parteidemokratie entschieden. Wenn die Mehrheit der Parteimitglieder sich irrt, kann die Minderheit sie nach und nach aufklären. Wenn nicht vor dem nächsten Parteitag, dann danach. Die Minderheit kann neue Mitglieder in die Partei ziehen und selbst die Mehrheit werden. Man muss nur etwas Vertrauen in die Arbeiter haben und etwas Hoffnung, dass die Arbeiter Vertrauen in die Führer der Opposition bekommen können.

Aber diese Führer schufen in ihrer eigenen Umgebung eine Atmosphäre hysterischer Ungeduld. Sie passten sich selbst der bürgerlichen öffentlichen Meinung an. Ihre Ungeduld hat Klassencharakter, sie ist die Kehrseite der Verachtung der kleinbürgerlichen Intellektuellen für die Arbeiter. Daher ist die Spaltungsabsicht so skandalös!

Ultralinke Scholastiker denken nicht in konkreten Begriffen, sondern in leeren Abstraktionen. Sie haben auch die Idee des Defätismus in solch ein hohles Ding verwandelt. Sie suchen eine hermetisch abgeschlossene Formel, in die keine frische Luft eindringen kann. Aber eine derartige Formel kann der proletarischen Vorhut nicht zur Orientierung dienen.

Leo Trotzki, geb. 1879, ermordet 1940, war russischer Revolutionär und Führer der IV. Internationalen. Quelle: www.marxists.org