: Kamerascheue Straftäter
Videoüberwachung auf St. Pauli lässt Kriminalität nur auf der Reeperbahn sinken, Gewalttaten in den Nebenstraßen nehmen zu. Innenbehörde filmt weiter, Opposition sieht nicht mehr Sicherheit
von Sven-Michael Veit
Die Video-Überwachung der Reeperbahn „hat für die Sicherheit nichts gebracht“, urteilt Andreas Dressel. Stattdessen sei im ersten Monat seit Installierung der polizeilichen Kameras „eine Zunahme der Gewaltkriminalität“ auf St. Pauli zu verzeichnen, so der Innenexperte der SPD-Fraktion. Auch habe eine „Verlagerung“ in nicht überwachte Seitenstraßen stattgefunden. „Das ganze Konzept“, findet Dressel deshalb, „muss nachjustiert werden.“
Der Senat hat jetzt in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage Dressels eine erste Bilanz der Kameraüberwachung vorgelegt. Danach ist die Zahl der Straftaten gegen Leib und Leben auf der Reeperbahn im April leicht zurückgegangen, im gesamten Stadtteil hingegen ist sie im Vergleich zum April vorigen Jahres angestiegen.
So sank die Zahl von Körperverletzungen auf der Rotlichtmeile von 47 Fällen im April 2005 auf 43 im vorigen Monat, im ganzen Stadtteil aber stieg sie von 208 auf 253. Das gleiche Bild zeigt sich bei der „sonstigen Gewaltkriminalität“: Auf der Reeperbahn wurden nur noch elf Fälle aktenkundig gegenüber 16 vor einem Jahr, in St. Pauli insgesamt aber 111 gegenüber 96 im April 2005. Verbrecher würden „eben dorthin ausweichen, wo keine Kameras sind“, folgert Dressel daraus. „Kameras allein bringen keine Sicherheit“, befindet auch GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch: „Die Kriminalität wird nur verdrängt.“
Das hatte auch schon Hamburgs Datenschutzbeauftragter Hartmut Lubomierski vorausschauend bemängelt, als Innensenator Udo Nagel (parteilos) die zehn Kameras am 30. März in Betrieb nahm. Straftäter würden „ihre Arbeitsplätze einfach an eine andere Stelle verlegen“, prophezeite Lubomierski.
Solche Einschätzungen findet Marco Haase voreilig. „Diese Unterstellungen sind sachlich nicht gerechtfertigt“, sagt der Sprecher der Innenbehörde, sondern „voreilige Spekulationen“. Die Zahlen in der Senatsantwort seien lediglich „als Momentaufnahme“ zu verstehen. „Wirklich seriöse und belastbare Aussagen über die Entwicklung sind erst frühestens nach einem Jahr zu erwarten“, bittet Haase um Geduld.
Die Überwachung von Kriminalitätsschwerpunkten in Hamburg sei von Innenbehörde und Polizei nie als „Allheilmittel“ betrachtet worden. Zusammen mit „verstärkter Polizeipräsenz“ und „lageabhängigen Personenkontrollen“ könne sie aber die Sicherheit auf dem Kiez erhöhen. Die Kameras, sagt Haase, „sind und bleiben ein probates Ergänzungsinstrument“ und würden „natürlich“ weiter eingesetzt.
Allzu intensiv scheint die Überwachung des Treibens auf dem Kiez jedoch nicht zu sein. Dressel hatte auch wissen wollen, welche und wie viele Delikte von den Kameras „verwertbar aufgezeichnet“ worden seien. Eine solche „Auswertung erfolgt nicht“, beschied ihn der Senat, und könne „mit vertretbarem Verwaltungsaufwand auch nicht vorgenommen“ werden.
„Wozu“, fragt sich da nicht nur Dressel, „wurden die Kameras dann installiert?“