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Archiv-Artikel

Graff hatte sie alle

BILDNIS Die Alte Nationalgalerie präsentiert Anton Graff als Künstler, der die deutsche Porträtmalerei auf Augenhöhe mit den französischen und englischen Meistern hob

Am bekanntesten ist Graffs Bildnis von König Friedrich II. von Preußen, allerdings in der Version von Andy Warhol als Siebdruck mit poppig akzentuierten Konturen

VON MARCUS WOELLER

Waren Sie mit Ihren Bewerbungsfotos schon mal so richtig zufrieden? Also gut getroffen, selbstbewusster Blick in die Kamera, nicht zu ernst, aber auch nicht zu freundlich, seriös, ohne spießig auszusehen. Eine Porträtaufnahme mit dem gewissen Etwas? Anton Graff hatte Erfolg mit so einem Bewerbungsbild. Er bekam die Stelle sogar, ohne zum Vorstellungsgespräch zu erscheinen!

1765 hatte die frisch gegründete Kunstakademie von Dresden die Stelle des Porträtmalers am kurfürstlichen Hof ausgeschrieben. Der im Schweizerischen Winterthur geborene Graff machte bereits während der Ausbildungsjahre in Augsburg und Ansbach mit seinem Talent auf sich aufmerksam und war vom Dresdner Akademiedirektor eingeladen worden, sein Können unter Beweis zu stellen.

Graff verzichtete jedoch auf die Reise und sandte nur ein „Jugendliches Selbstbildnis“, das vor Selbstbewusstsein nur so strotzt. Seitlich sitzt er vor der Staffelei. Akkurat gekleidet, mit Tendenz zur Extravaganz, hat er die Beine lässig übereinandergeschlagen. Geradezu beiläufig hält er einen Pinsel in den ebenso entspannt verschränkten Händen. Sein Gesicht ist knapp aus der Achse gedreht, doch seine Augen fixieren den Betrachter. Völlig cool, mit etwas Spott im angedeuteten Lächeln. Die Leinwand ist grundiert, aber leer. Ich kann direkt loslegen mit dem Job, scheint er zu sagen.

Der Hof war begeistert

In Dresden zeigte man sich begeistert, berief ihn als Hofmaler, ernannte ihn sogleich zum Mitglied der Kunstakademie. Graff behielt die Anstellung zeitlebens bis er 1813 76-jährig starb.

An die 2000 Porträts soll er gemalt haben. Darunter das Who’s who des Geisteslebens, denn während seiner Schaffenszeit florierte in Preußen und Sachsen die Aufklärung. Trotzdem ist Graff in Vergessenheit geraten. Eine Retrospektive in der Alten Nationalgalerie präsentiert ihn nun als wichtigsten Porträtisten seiner Zeit und als Künstler, der die deutsche Porträtmalerei, die nach Albrecht Dürer keinen besonders qualitätsvollen Stand mehr hatte, wiederbelebte und auf Augenhöhe mit den englischen und französischen Meistern des Fachs brachte.

Am bekanntesten ist Graffs Bildnis von König Friedrich II. von Preußen – allerdings in der Version von Andy Warhol als Siebdruck mit poppig akzentuierten Konturen. Das Original zeigt dagegen deutlich, mit welchen malerischen Tricks der für seine Schnelligkeit und Treffsicherheit geschätzte Graff arbeitete.

Er verabschiedete sich von der spätbarocken Theatralik und nahm die Gesichter seiner Modelle in den Fokus, um ihnen lebendige Authentizität zu verleihen. Dafür setzt er sie ins Licht, besonders aus der Stirn heraus scheint es förmlich zu leuchten.

Die Augen werden leicht vergrößert, sind sie doch der Spiegel der Seele. Ihr waches Strahlen bekommen diese Augen aber vor allem durch die fast radikal gesetzten weißen Punkte, so als würden sie einen Scheinwerfer reflektieren.

Wie ein Markenzeichen durchziehen sie sein Werk und erwecken damit Adlige und Bürger, Künstler und Komponisten, Dichter und Denker zum Leben. Wie heute vielleicht Annie Leibovitz in den USA oder Barbara Klemm in Deutschland hatte Graff sie alle. Nicht vor der Kamera, aber vor seiner Staffelei: sächsische Prinzen und preußische Prinzessinnen, die aufgeklärte Bourgeoisie von Leipzig und Berlin, Literaten wie Lessing oder Herder, Künstlerkollegen wie Dietricy oder Chodowiecki, Salonlöwinnen wie Henriette Herz oder Minna Körner.

Mit besonderem Interesse porträtierte Graff sich aber auch immer wieder selbst. Zuletzt im „Selbstbildnis mit Augenschirm“, den schon sehschwachen, aber stolzen Blick auf ein Leben gerichtet, das ungewöhnlich reich an sozialen Kontakten und intellektuellem Austausch gewesen sein muss.

■ Bis 23. Februar 2014, Alte Nationalgalerie Berlin. Katalog (Hirmer Verlag) 30 Euro