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Archiv-Artikel

Und an den Wänden ferne Gärten

GESELLSCHAFTS-KUNST Die amerikanische Filmemacherin und Malerin Sarah Morris gilt als politische Künstlerin: Doch wer schnöden Agitprop erwartet hat, wird von ihrer buntlackierten Intervention „Jardim Botânico“ in der Kunsthalle Bremen enttäuscht sein

VON RADEK KROLCZYK

Der Anspruch an Künstler, politische Kunst zu machen, ist heute sehr stark. Ausstellungen wie die letztjährige Berlin Biennale verwechseln Kunst gleich ganz mit politischer Praxis. Künstler beschäftigen sich mit Politik, mischen sich in politische Prozesse ein, machen Verbesserungsvorschläge, schließen Kompromisse, spenden für „Brot für die Welt“ und bringen den Müll runter.

Auf diese Weise vermischt sich Kunst mit Politik, bis sie von ihr nicht mehr zu unterscheiden ist. Zuerst ähnelt sich Kunst an Politik an. Dann verschwindet sie ganz und lässt uns allein mit lauter Politik auf dieser Welt. In diesem Sinne wäre Sarah Morris wohl keine politische Künstlerin.

Kunst aber kann im Grunde nicht anders, als politisch zu sein, indem sie sich auf die Welt, in der wir leben, auf irgendeine Weise beziehen muss. Schließlich wird ja auch Kunst durch ihr Entstehen zum Teil dieser Welt. Man könnte sie als eine Form von Erkenntnis bezeichnen. Und je mehr sie von dem, was vor sich geht, begreift und in sich aufzunehmen vermag, desto gelungener – und man könnte durchaus auch sagen: desto politischer oder kritischer ist sie.

Zuflucht für Duchamp

Und hier kommt eben doch wieder Sarah Morris ins Spiel. Es scheint nämlich so, als würden ihre filmischen und malerischen Arbeiten die ganze Welt enthalten. Zumindest potenziell. Denn das Erkennen ist immer noch Sache des Betrachters. So offen sind ihre Arbeiten dann schon. Morris malt auf Leinwände und öffentliche Flächen farbige Raster.

Diese beziehen sich dabei stets auf einen konkreten Ort, sezieren ihn und weisen schließlich weit über ihn hinaus. Für das Foyer der Bremer Kunsthalle hat Sarah Morris ein umlaufendes Wandbild entworfen. Etwa ein Jahr lang soll es dort zu sehen sein. Es wirkt in die riesige Eingangshalle der Kunsthalle hinein und verändert sie.

„To change architecture is so easy“, hatte sie während der Eröffnungsfeier gesagt: Es ist so leicht, Architektur zu verändern. In diesem Sinne sollte man auch ihr Wandbild betrachten, das vielmehr eine Rauminstallation, ein Eingriff in die räumliche Struktur ist, als eine bloß Veränderung der Wandoberfläche.

Der Titel der Arbeit – „Jardim Botânico (Rio)“ – bezeichnet einen ganz konkreten Ort: Der wirkliche Jardim Botânico in Rio ist eine alte botanische Gartenanlage, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts angelegt wurde. Künstler der klassischen Moderne wie Marcel Duchamp fanden an diesem Ort der Utopie eine Zuflucht: Schon als Idee haben Gärten ja immer ein Moment des wiedergewonnenen Paradieses.

Der botanische Garten von Rio setzte darüber hinaus schon sehr früh ein Zeichen der Natur-Bewahrung: Seit seiner Gründung 1808 gehört zu seinen Funktionen, den Bestand zahlloser seltener Pflanzen zu sichern, die Unesco hat ihn deshalb zum Biosphärenreservat erklärt. Dort, mitten im Zentrum der Millionenstadt, treffen verschiedenste Menschen aufeinander – auch weil ein am Garten gelegenes und nach ihm benanntes Quartier einige der ärmsten Einwohner Rios beherbergt.

Vom Abwasser bedroht

„Die Gegend auf dem Weg in die Berge ist finster und gefährlich“, berichtet Morris. Ein ökologisches Problem hat der Park ebenso: Die Abwässer aus der Stadt bedrohen seinen Fortbestand.

Diese ökologisch-soziale und ökonomische Struktur hat Morris zum Ausgangspunkt für ein Wandgemälde genommen, das aus einer strengen Anordnung verschiedenfarbiger geschwungener Bausteine besteht, die entfernt an Blätter, Federn oder Klingen erinnern mögen. Man meint, den Titel in der räumlichen Arbeit wiederzuerkennen, also den botanischen Garten mit seinen geschwungenen grünen Wimpeln. Wie Bäume umstehen den Museumsbesucher plötzlich die grün-bunten Rasterflächen.

„Die Komposition ‚Jardim Botânico‘ hat jedoch nichts zu tun mit dem Aussehen des Jardim Botânico in Rio“, stellt Morris dagegen klar. „Wenn man den Ort besucht, wird man keine der hier mit Lack umgesetzten geometrischen Formen finden.“ Auch wenn man sich bei dem Bild an die Formen von Früchten, die überall in Rio auf der Straße verkauft werden, erinnert fühlt. „Die Coke-Machines von Rio“, nennt Morris diese Fruchtstände. Manchmal findet man solche Formen auch an Häuserwänden. Im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Diktatur sollen sie aufgekommen sein. Es werden auch Momente der Bauten der Architekten Oscar Niemeyer und Roberto Burle Marx aufgenommen. Beide entwarfen und bauten Häuser und Plätze in Rio de Janeiro.

Man kann sich schon einen Ort wie Rio vorstellen, wenn man die farbigen Flächen betrachtet. Wenn man die breiten Stufen zum Eingang der Kunsthalle hinaufkommt und durch die Glasfront an der Kasse vorbei schaut, erscheint der vermeintliche Garten wie Industriedesign der 1960er Jahre – wie psychedelische Tapeten oder Vorhänge etwa.

Unterschiedliche Einflüsse kommen in der Arbeit „Jardim Botânico“ zusammen. Die Architektur der Kunsthalle ist sehr spezifisch. Sie ist kein universeller und neutraler White Cube, sondern ein wuchtiger Bau der Neoklassik.

Der farbige botanische Garten hat hier mit den Treppenaufgängen und tief dunkelbraunen Vertäfelungen der Türrahmen und den finster-schweren Fußleisten zu kämpfen. Es gibt im Wandbild einige weiße Elemente, die unter der weißen Decke irritieren.

Zeichen der Macht

Obwohl es den Ort in der wirklichen Welt gibt, ist das Wandbild nicht seine Abbildung. Es ist auch keine Ansicht der Stadt, in der er liegt. Und dennoch klingen die wirklichen Orte an, um fantastische Räume zu eröffnen. Morris nimmt immer wieder Motive in ihre Bilder auf, bei denen man an Zeichen zur Repräsentation der Macht denkt. Olympiaringe, Nationalsymbole, Pixel.

Über ihre Wandbilder an öffentlichen Orten sagt Morris: „Es hat nichts mit Repräsentation zu tun, ich nutze es als eine Plattform für mich und für meine Arbeit.“ Manchmal führe das zu nützlichen Missverständnissen: Oft genug dächten die Auftraggeber bei ihren abstrakten Wandbildern, es handele sich um eine Form der Repräsentation, „eine Art von Propaganda für ihre Zwecke“, wie sie es nennt. „Aber sie irren sich“, so Morris, „denn es ist mein Ding“. Ihr Vertrauen in die Eigentlichkeit ihrer Arbeit überrascht zwar. Es überzeugt allerdings auch.

Kunsthalle Bremen, Mi bis So 10 bis 17 Uhr, Di bis 21 Uhr