: Atomgesetz als Spaltprodukt
ENERGIE Jurist des Bundestags erklärt, wie Schwarz-Gelb versuchen könnte, längere Atomlaufzeiten durchzusetzen: Gesetz splitten. Opposition will sich wehren
BÄRBEL HÖHN, GRÜNE
VON HANNA GERSMANN
Mit oder ohne? Der von Schwarz-Gelb geplante Ausstieg aus dem Atomausstieg hängt davon ab, ob der Bundesrat eingebunden werden muss. Der Koalition fehlt darin seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen die Mehrheit. Aber: Union und FDP könnten es mit einem Trick versuchen, ganz rechtmäßig. Aus Sicht des Juristen Harald Georgii vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages muss die Regierung das Gesetz nur aufspalten – in einen zustimmungspflichtigen und einen zustimmungsfreien Teil.
Seine Analyse: Die Regierung braucht das Ja der Länderkammer nicht, wenn sie beim bestehenden Atomgesetz zunächst nur die bisher festgelegten Restlaufzeiten der 17 deutschen Meiler verlängert und diese Änderung zunächst allein durch den Bundestag bringt. Die damit verbundenen zusätzlichen Sicherheitsanforderungen könnten anschließend gesondert beschlossen werden – mit Beteiligung des Bundesrats, der diese aber kaum verweigern wird.
Der Rat des Juristen ist für die Atombefürworter interessant. Die Regierung will sich noch vor der Sommerpause verständigen, wie der Ausstieg aus dem Atomausstieg durchgesetzt werden soll. Eigentlich wollte sie alle energiepolitischen Entscheidungen bis zum Herbst vertagen. Doch der Druck ist groß geworden, seit sich die Union an der Atomfrage in den letzten Tagen regelrecht spaltet.
Für die Positionen, die bisher unversöhnlich schienen, steht auf der einen Seite Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Er sagt: Wenn die deutschen Atomreaktoren länger in Betrieb bleiben, dann müssten auch „zwingend aktualisierte Sicherheitsanforderungen“ berücksichtigt werden. Und das berühre die Zuständigkeit der Länder. Auf der anderen Seite: Stefan Mappus, Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Er will die Reaktoren, so bekräftigte er am Donnerstag, mindestens 15 Jahre länger am Netz lassen. Er argumentiert, dass eine Zustimmung zu längeren Laufzeiten nicht nötig sein, weil seinerzeit Rot-Grün den Atomausstieg auch ohne Zustimmung des Bundesrates beschlossen habe. Damals geschah das übrigens gegen den Willen der Union.
Ob der Bundesrat mitreden muss, hängt immer davon ab, welche Aufgaben den Ländern neu aufgebürdet werden. Bei der Stilllegung von Reaktoren ist freilich klar: Die Länder – ihnen obliegt die Atomaufsicht – werden entlastet. Bei der Rückabwicklung des Atomausstiegs ist die Sache weniger eindeutig. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in den letzten Wochen zwei Analysen verfasst. Fazit im April: „Für Laufzeitverlängerungen bzw. die Wiederzulassung der dauerhaften Nutzung der Atomenergie ist eine Gesetzesänderung erforderlich, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf.“ Fazit in der aktuellen Stellungnahme von Harald Georgii: „Es liegt weitgehend beim Bundestag, ein Gesetz so zu beschließen, dass die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich ist.“ Ein Widerspruch? Für Georgii nicht. Denn die Debatte hat sich innerhalb weniger Tage geändert. Der federführende Minister, Norbert Röttgen, hatte für ein neues Atomgesetz immer auch neue Sicherheitsstandards angekündigt. Das ist wegen des Unionsstreits längst nicht mehr sicher.
Die Opposition wird es der Regierung aber nicht einfach machen. Die SPD will gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht einschalten. Auch eine reine Laufzeitverlängerung könnte schon zustimmungspflichtig sein, sagte Bärbel Höhn, Vizechefin der grünen Bundestagsfraktion, der taz – etwa wegen „der Alterungsprobleme der Reaktoren“. Für die Länder werde die Aufsicht „umfangreicher und schwieriger“. Höhns Kalkül: Während des langen juristischen Streits werden die Atomkonzerne „sich hüten“, sicherheitstechnisch nachzurüsten. Für die nächste Regierung werde es so leicht, die längeren Laufzeiten zu kassieren – „Schadenersatzansprüche sind nicht zu fürchten“.