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JÖRG SUNDERMEIER
Heute findet in der von der Schließung bedrohten Baiz (Christinenstraße 2, 19 Uhr) die Veranstaltung „Zeit der Kirschen“ statt, doch geht es hier nicht etwa um leicht melancholisch vorgetragene sinnliche Poesie, wie man beim Veranstaltungstitel vermuten könnte, sondern um politische Lyrik und Prosa. Leander Sukov und Simone Barrientos haben an diesem Abend Gäste geladen, mit denen sie die Gentrifizierung kritisieren wollen. Und da sie gute DialektikerInnen sind, wissen sie, dass sie in der Baiz selbst Teil dessen sind, was sie kritisieren, was ihre Kritik nicht weniger wichtig macht. Dennoch ist man nicht nur Opfer, wenn die Gentrifizierung, die man selbst vorangetrieben hat, einen nun in den Hintern beißt.
Morgen wird im Mehringhof (Gneisenaustraße 2a, 20 Uhr) ein neuer Begriff vorgestellt, der, aus den USA kommend, nun auch hier eine gewisse Karriere in linken Zirkeln macht: der Begriff „Klassismus“. Dieser Begriff soll die Erfahrung persönlicher Diskriminierung von Menschen als ein gesellschaftliches, strukturelles Problem darstellen. Wenn also ein Kind verlacht wird, weil es keinen Markenpulli trägt, geht es nicht darum, dass es oder seine Eltern Versager sind, sondern dass sie allein aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit angegriffen werden. Aber halt, ist das individuelle Problem nur ein individuelles? War die Feststellung dieser Diskriminierung nicht bereits Bestandteil der guten alten Analyse der Klassengesellschaft? Andreas Kemper klärt darüber auf.
Am Dienstag dann wird in der Friedelstraße 54 (21 Uhr) eine filmische Dokumentation zum Thema NSU-Morde gezeigt, die sich ausschließlich mit den Ermordeten befasst und nicht mit deren MörderInnen. Die Anarchistische Gruppe Neukölln glaubt so rassistische Abgrenzungen aussetzen zu können. Aber geht das? Sicher ist es gut, den Opfern ein Gesicht und eine Biografie zu geben, auf dass man sie nicht als Opfer der „Döner-Morde“ zu einer ohne größere Emphase anzuschauenden Gruppe subsummiert. Aber sind die MörderInnen nicht leider zum Teil diese Biografien geworden, auch wenn die Opfer offenkundig zufällig gewählt wurden? Die Frage sollte zumindest diskutiert werden.
Am Mittwoch dann wird am Brandenburger Tor (17 Uhr) all jener gedacht, die trans*feindlich motivierter Gewalt zum Opfer gefallen sind. Den „Transgender Day of Remembrance“ gibt es bereits seit 1999. Wenn man sieht, welch immense Gewalt Menschen angetan wird, die durch ihr Aussehen oder Verhalten nicht ins normierte Denken passen, so merkt man, wie überaus wichtig es ist, an die Opfer zu erinnern – um neue zu vermeiden.