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Archiv-Artikel

Therapeut aus Nazareth

Jesus erklärt noch mal, warum er nicht Zimmermann blieb. „Meine Evangelien“ von Eric-Emmanuel Schmitt ist Meinhard Zangers letzte Inszenierung als Intendant des Kölner Theaters der Keller

AUS KÖLN HOLGER MÖHLMANN

Wer war Jesus? Religionsstifter? Heilsbringer? Oder nur ein Wanderprediger, der eigentlich Jeschua hieß und selbst nicht so genau wusste, wie er zu seiner messianischen Mission gekommen ist? Das Stück „Meine Evangelien“ des französischen Autors Eric-Emmanuel Schmitt, zur Zeit in deutschsprachiger Erstaufführung am Kölner Theater der Keller zu sehen, eröffnet mit dem Monolog eines halb ängstlichen, halb heroischen Jesus auf dem Ölberg. Das letzte Abendmahl ist verspeist, die Jünger schlafen, gleich werden die Römer kommen und ihn verhaften. So ist es mit Judas ausgemacht, damit die Propheten Recht behalten und aus dem Zimmermann aus Nazareth der Auferstandene werden kann.

Seine letzten Stunden in Freiheit nutzt Jesus-Jeschua (überragend angesichts der Textfülle: Bernd Reheuser), um vor sich und dem Publikum Zeugnis über die eigene Geschichte abzulegen. Um zu erzählen, wie er der wurde, als den so viele ihn sehen, und wie er auf den Ölberg kam, angedeutet durch einen Olivenzweig, der im unschuldig weißen Bühnenbild von der Decke hängt, während von der Rückwand schon das Kreuz droht (Ausstattung: Petra Buchholz). Ist er nun der Sohn Gottes, der rettende Christus? Oder nur ein Gutmensch aus Galiläa, dem seine Mitmenschen alles Mögliche andichten? Die Frage bleibt natürlich offen. Jeschua selbst schildert sich als eine Art Psychotherapeuten aus Nazareth. Einer, den man in seiner Werkstatt besucht, weil er so gut zuhören kann. Dem man zwischen Hobelbank und Sägespänen die eigenen Sorgen beichtet. Lakonisch und pathetisch, sehr sensibel und textlich ansprechend lässt Bernd Reheuser einen Jeschua zu Wort kommen, der eher zufällig in seine Bestimmung hineinstolpert, den andere in seine Göttlichkeit hinein quasseln, der sich wundert, dass er Wunder tun kann – und der schließlich allein am Ölberg zurückbleibt und darauf wartet, für die anderen sein Kreuz auf sich zu nehmen.

Nach der Pause dann ein zweiter ungewohnter Blick aufs Evangelium: Im Kampfanzug stapft Pilatus, Präfekt von Judäa (ebenfalls sehr überzeugend: Josef Tratnik) durch den Sand auf dem Bühnenboden wie ein US-General durch die Wüste im Irak. Ein Besatzungsoffizier, der Sorgen hat – denn die Leiche des jüdischen Magiers, der vor drei Tagen gekreuzigt wurde, ist weg. Wer könnte sie haben? Josef von Arimatäa, in dessen Grab der Magier gelegen hat? Kaiphas, der Hohepriester, der seinen Tod wollte? Oder lebt der Volksprediger etwa noch? Je mehr Zeugen sich finden, die ihn lebend gesehen haben wollen, darunter Pilatus‘ eigene Frau, desto mehr fühlt sich der Präfekt persönlich von ihm verfolgt. „Verschwörer“ wittert er überall. „Ruhe und Ordnung“ will er wieder herstellen. Und so hat seine Suche nach Jesus etwas von der Jagd nach Osama bin Laden. Bis Pilatus schließlich auf Reisen geht und dabei findet, nachdem er noch nie gesucht hat – sich selbst.

Mit der schauspielerisch gelungenen Inszenierung einer sehr intelligenten Vorlage verabschiedet sich Regisseur Meinhard Zanger als Leiter des Theaters der Keller, um in der kommenden Spielzeit die Intendanz des Wolfgang-Borchert-Theaters in Münster zu übernehmen. Nach einem Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft in Köln und einer Ausbildung an der zum Theater der Keller gehörenden Schule war er von 1981 bis 1998 als Schauspieler und Regisseur an verschiedenen Bühnen in Deutschland und der Schweiz tätig. In seiner Zeit als Theaterdirektor in Köln leitete er 2004 das Festival „Theaterzwang“ der Freien Bühnen in NRW. Eric-Emmanuel Schmitt ist einer von Zangers Lieblingsautoren: Fünf Stücke des französischen Dramatikers brachte er auf die Bretter seines Hauses – mit der Inszenierung von „ Der Freigeist“ gewann er den Kölner Theaterpreis 2000.

In der laufenden Spielzeit steht Meinhard Zanger als Garcin in Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ noch einmal selbst auf der Bühne. Mit ihm verlässt eine feste Größe des Kölner Theaterlebens die Domstadt. Und Münster darf sich auf neue Impulse freuen.

Von heute bis Samstag, 20:00 Uhrim Theater der Keller, KölnInfos: 0221-318059