: Wo lebe ich denn hier?
HEIMAT Eine Hassliebe verbindet ihn mit dem Ruhrgebiet, sagt der Filmemacher Adolf Winkelmann. Nächste Woche ist seine Arbeit beendet, ein Stück mit dem Pott zu verschmelzen. Ein Werkstattbesuch
■ Der Turm: 1926 erbaut, Gär- und Lagerhaus der Union-Brauerei, 70 Meter hoch, steht auf 40 Pfeilern
■ Die Installation: dreiteilig (Dachkrone: 625 qm, 1,7 Millionen LEDs; Foyer: 11 Projektionen à 5,8 qm; Treppenhaus: 9 Projektionen à 5,6 qm über 3 Etagen)
■ Der „Glöckner“: Adolf Winkelmann, Jahrgang 1946, Studium an der Werkkunstschule Kassel, Experimental-, TV- und Kinofilme. Auszeichnungen: Filmband in Silber, Deutscher Filmpreis, Grimme-Preis, 2008 Deutscher Fernsehpreis und Romy für „Contergan“
VON DAVID DENK
Dortmund. Dortmund? Manchmal fragt Adolf Winkelmann sich schon, warum er nicht längst weggegangen ist, nach Berlin, zu all seinen Schauspielern, oder wenigstens nach Köln, wo der Rest wohnt. Die Frage war schon 1978 in seinem Langfilmdebüt „Die Abfahrer“ präsent und wird es wohl bis ans Ende seiner Tage bleiben.
Wer ihn einmal vom „Gefühl der Wärme“ hat erzählen hören (zu schwärmen verbieten ihm seine westfälischen Wurzeln), die ihn umfängt, wenn er eine Ruhrgebietskneipe betritt und „am Tresen auch in der dritten Reihe sofort ein Bier“ bekommt, der ahnt aber, dass so einer nicht übermorgen die Koffer packen wird – auch wenn es zu seinem Selbstbild als Künstler in der selbstempfundenen Provinz gehört, das als ernsthafte Option darzustellen.
Eine „Hassliebe“ verbinde ihn mit seiner Heimat, sagt der 64-Jährige. Nicht immer wird sie erwidert, das ist eher die Ausnahme. Dieses Schwanken, diese Ambivalenz, setzt aber wohl erst die nötige Energie frei, um sich über Jahrzehnte künstlerisch daran abzuarbeiten. Bei Woody Allen gilt diese Beziehungsarbeit New York, bei Adolf Winkelmann eben dem Pott. Andere dürfen seine Heimat nicht schlecht machen, das erledigt Winkelmann lieber selber. Dann wirbt er aber auch wieder um Verständnis für die vom Strukturwandel erschütterte Seele des Ruhrgebiets. „Das hat sich hier alles in einem amerikanischen Tempo entwickelt, zu schnell für das Bewusstsein der Menschen. Wir wissen nicht mehr, weshalb wir hier alle auf einem Haufen zusammensitzen. Die integrative Kraft der Arbeit fehlt“, sagt er.
Die schon aus „Die Abfahrer“ bekannte Frage „Kann mir mal einer sagen, warum ich überhaupt noch hier bin?“ findet sich auch auf der Rückseite der Broschüre zu seinem aktuellen Projekt „Die Reise ins U“ – noch so ein Grund, warum Winkelmann immer noch in Dortmund ist. Hier, in einem Technologiezentrum in Uninähe, hat er sein großzügiges, aber unspektakuläres Atelier, und hier arbeitet er schon seit eineinhalb Jahren daran, endgültig untrennbar mit seiner Heimatstadt zu verschmelzen. Denn Winkelmann inszeniert das Dortmunder U, diesen unwirklichen Koloss von einem Brauereigebäude, den jeder kennt, der mit dem Zug schon mal den Dortmunder Hauptbahnhof passiert hat.
Am Freitag wird das zum „Europäischen Zentrum für Kunst und Kreativität“ umgestaltete U eröffnet und damit auch Winkelmanns Videoinstallation „Fliegende Bilder“, mit der er sowohl die Dachkrone des Monumentalbaus als auch das Foyer und eine von den Rolltreppen und dem verglasten Aufzug aus einsehbare Wand bespielt. Um 21.15 Uhr, eine gute Viertelstunde vor Sonnenuntergang, soll das Licht in der Dachkrone angehen – wenn alles nach Plan läuft. Nach Plan ist bislang allerdings wenig gelaufen.
„Ich wollte meiner Heimatstadt was schenken“, beschreibt Winkelmann, der ganz salopp Laufschuhe zur Cordhose trägt, den Anstoß zu dem rund 5 Millionen Euro teuren Projekt, das Teil der Baukosten von knapp 50 Millionen war und finanziell mit dem Kulturhauptstadtjahr nichts zu tun hat. „Aber es ist verdammt schwer, der Ruhrgebietskommunalverwaltung was zu schenken.“
Jetzt muss Adolf Winkelmann sich leider ein bisschen aufregen, über den Grundlagenvertrag der U-Nutzer untereinander, den der Dortmunder Stadtrat kurz zuvor abgenickt hat. Winkelmann kann da nur den Kopf schütteln. „Da steht drin, dass der Gründungsdirektor des U meine Installation programmiert. Nun habe ich aber einen Vertrach (sic!) mit der Stadt, dass ich dieses Gebäude inszeniere. Und da steht drin, dass die Stadt sich inhaltlich nicht einmischt. Ist doch klar. Ich lasse doch keinen in meinem Film rumfuhrwerken! Wo lebe ich denn hier?!“ Da ist sie wieder, die Winkelmann-Frage.
Zen-verdächtig gelassen hingegen reagiert Winkelmann auf die Verzögerungen im Zeitplan, die die marode Bausubstanz des über achtzig Jahre alten U-Turms verursacht hat. Der Winter musste auf der Baustelle trotz Eiseskälte durchgearbeitet werden. Dass zunächst niemand gemerkt hat, wie schlecht der Bau tatsächlich in Schuss ist, wundert ihn nicht. „Man kann nicht alles vorhersehen“, so sein lapidarer Kommentar, „ich hatte schon häufiger mit solchen Bauvorhaben zu tun, das lernt man da.“ Und wir lernen von Winkelmann, wie man aus der Not eine Tugend macht. Nebenbei arbeitet er nämlich gerade an einem Buch über sein Projekt, „keine Dokumentation, sondern eine Art Bilderroman“: „Das ist für mich so schön, weil ich mir damit von der Seele schreiben kann, was mich eigentlich fertig machen will.“
„Da hinten läuft ne Ratte“, ruft Winkelmann plötzlich und deutet auf das Modell der elf im Halbkreis angeordneten Leinwände in der Ecke, über die im Foyer „RuhrPanoramen“ gezeigt werden, ausgedehnte Schwenks durch Städte und Landschaften, „von rostig bis grün“, wie Winkelmann sagt.
Die Ratte fällt wohl eher unter „rostig“, aber auch die gehört eben zum Ruhrgebiet. Heimatkitsch ist Winkelmann fremd. Adolf Winkelmann ist 500 Meter Luftlinie von der Union-Brauerei entfernt aufgewachsen, mit dem Rad jahrelang daran vorbei zur Schule gefahren. Das vierfache, neun Meter hohe „U“, das den Turm zur Landmarke gemacht hat, prangt erst seit 1968 auf dessen Spitze, da war Winkelmann längst zum Studium nach Kassel gezogen, ein kurzes hessisches Intermezzo.
„Das U obendrauf fühlt sich für mich immer noch falsch an“, sagt er 42 Jahre später in seinem Atelier. „Für mich gehören da zu Weihnachten oben vier Weihnachtsbäume drauf.“
Seine ureigenen Assoziationen zu Dortmund und dem Ruhrgebiet sind auch Grundlage seiner Videoinstallation, die er ein „subjektives Porträt des Ruhrgebiets“ nennt, „ein sich ständig wandelndes Mosaik aus vielen kleinen Bausteinen, die vorm Auge des Betrachters immer wieder neu montiert werden und dadurch immer neue Bild- und Sinnzusammenhänge ergeben, unterschiedliche Geschichten erzählen.“ Irritationen sind dabei durchaus erwünscht. „Ich erwarte, dass die Leute sich fragen: Was soll denn das jetzt?!“ Besonders den Besuchern der Veranstaltungen im U, die Winkelmanns Konzeptkunst nur im Vorbeigehen wahrnehmen, wird es so gehen. Aber auch die beteiligten Schauspieler stellen sich diese Frage mitunter.
An einem sonnigen Frühlingstag Ende März 2009 ist Katharina Wackernagel angereist, aus Berlin natürlich, um hinter einer Fensterattrappe „die Frau des Architekten“ zu spielen. Den Kontext ihres Monologs, der in einem der neun Fenster an der Treppenhauswand zu sehen sein wird, kennt sie nur aus Erzählungen Winkelmanns – ungewöhnlich, aber nicht hinderlich: „Um eine Figur lebendig werden zu lassen, brauche ich keine Vorgeschichte, kein Danach.“
Das Ruhrgebiet ist Wackernagel als geborener Freiburgerin ehrlich gesagt schnuppe, Winkelmann jedoch nicht. Die monatelange juristische Auseinandersetzung bis zur Ausstrahlung seines Fernsehzweiteilers „Contergan“, in dem Wackernagel die Hauptrolle spielte, hat Ensemble und Regisseur zusammengeschweißt. Deswegen ist sie hier, für wenig Geld und nur für einen Drehtag. Auch Wackernagels „Contergan“-Ehemann Benjamin Sadler stand in Dortmund vor der Kamera von David Slama, mit dem Winkelmann fast alle seine Filme gedreht hat, genau wie Dietmar Bär, Peter Lohmeyer oder Caroline Peters. „Ich habe die aber nicht genommen, weil sie prominent sind“, sagt Winkelmann, „sondern weil ich sie als Schauspieler schätze und man sich so endlich mal wiedertrifft.“
Katharina Wackernagel freut sich über das vergleichsweise intime und experimentierfreudige Arbeiten an „Fliegende Bilder“: „Das ist einfach ein toller Spielplatz hier.“
Auch Adolf Winkelmann genießt es, mal aus dem üblichen „Malen nach Zahlen“ auszubrechen, dem sturen Abdrehen eines Skripts. „Die Reise ins U“ ist für ihn ein „Forschungslabor“, wo er auch den technischen Fortschritt reflektiert – neben den Veränderungen im Ruhrgebiet, wo man sich heute die Hände entlang der Recyclingstraße schmutzig macht und nicht mehr im Pütt, sich also auch im Strukturwandel treu bleibt, wie eine Sequenz für die Eingangshalle illustriert, und den auseinanderdriftenden Parallelwelten im Pott.
Auch beim Thema Fortschritt ist er sich der inhärenten Ambivalenz wieder sehr bewusst. Einerseits hat die Digitalisierung des Films die Videoinstallationen überhaupt erst ermöglicht. Ungeheure Datenmengen, insgesamt etwa 20 Terrabyte, mussten dafür verarbeitet werden. Winkelmann dreht mit modernstem Equipment und versucht sogar, den U-Turm über das Handy des Besuchers zum Sprechen zu bekommen, „eine hocherotische Vorstellung“.
Andererseits sorgt er sich um die Kurzlebigkeit der Bilder heutzutage. „Die übernächste Generation von Computern wird schon nicht mehr abspielen können, was wir heute mit unseren Kameras aufnehmen, weil ja immer neue Codices erfunden werden“, sagt Winkelmann. „Und wir machen es sehenden Auges mit, dass sich von unserer Zeit kaum Bilder erhalten werden, obwohl wir pausenlos alles festzuhalten versuchen.“
Als Filmemacher sieht Winkelmann darin neben der Gefahr auch eine Herausforderung: „Mich interessiert, ob ich es schaffe, dass meine Bilder nicht in dem Bildersumpf untergehen, durch den wir täglich waten.“ Einmal ist ihm das schon gelungen, mit dem Bild von in die Dachkrone des U-Turms gesetzten Brieftauben, das er veröffentlicht hat, damit die Dortmunder sich auch was unter seinem Projekt vorstellen können. „Das ist eine sehr gelungene Verdichtung von Ruhrgebietsklischees“, findet Winkelmann. „Wenn ich abends in der Kneipe darauf angesprochen werde, weiß ich, es hatte eine Wirkung.“
Bleibt noch die Frage, warum Winkelmann immer noch in Dortmund ist. „Weil ich hier das wirklich Wahre vor die Kamera kriege“, antwortet er. Ginge das nicht auch in Berlin? Die Frage hat Winkelmann schon oft gehört – nein. Und wenn er zum Drehen immer zurückkäme? Auch nicht besser. „Jeden Tag zu erleben, wie sich Heimat verändert, das ist schon ein Pfund.“