herr tietz macht einen weiten einwurf : Oh heilige Einfalt!
FRITZ TIETZ schaltet seinen Verstand aus und tippt in Trance auf die Fußball-WM
Gestern dann doch den Tippschein ausgefüllt. Meine Frau brachte ihn aus der Firma mit. Ihre fußballeuphorisierte, überwiegend männliche Kollegenschaft hatte sie überredet, mit auf den Verlauf der WM zu wetten, und da wollte meine Frau nicht so sein. Obwohl ihr die WM so was von am Arsch vorbeigeht – was der WM Leid tun sollte, denn ihr Hintern ist sehr hübsch. Trotzdem: Mit „nur fünfzehn Euro“ stieg meine Frau in die Wette ein. Nur fünfzehn Euro! Mir stockte der Atem. Im Wettfieber war ihr wohl dieser horrende Einsatz als ein leicht zu verschmerzender Klacks erschienen. Fünfzehn Euro! Ein frisches Hungertuch hätten wir davon anschaffen können. Nun mussten die Kinder weiter am alten nagen.
Aber was half’s. Der Einsatz war längst im Betriebs-Pott versenkt und konnte nur durch eine Wettteilnahme wieder gehoben werden. Um so vehementer lehnte ich deswegen aber ab, was sich meine Frau in ihrem Leichtsinn für das eigentliche Tipp-Prozedere „so gedacht hatte“. Dass ich nämlich das Ausfüllen des Tippscheins übernähme. Sie habe von Fußball keine Ahnung. Ich aber sei „der Experte“ und damit, so ihre Worte, „die Sache doch im Grunde schon so gut wie geritzt“. Der Wetteinsatz, davon gab sie sich überzeugt, würde sich nach dem von mir korrekt vorhergesagten Turnierverlauf zum vielfach potenzierten Wettgewinn auswachsen. Und wir könnten endlich mal wieder in Urlaub fahren. Oh heilige Einfalt!
Denn das weiß doch jeder: nur die gebenedeite Ahnungslosigkeit hat eine Aussicht bei solchen Glücksritterspielen. Denn so hatte ich’s bei allen WM-Wetten erlebt, zu denen auch ich mich früher verführen ließ. Ob in der Wohngemeinschaft (1978), im Pflegeteam meiner Zivildienststelle (1982) oder im Kollegenkreis von 1990. Immer kassierten die den Wettstock, die nicht den blassesten Schimmer hatten. Und bei allen drei Wetten waren es bekennend fußballdesinteressierte Frauen, die den Gesamtgewinn einstrichen – und umgehend in Plunder investierten: Reni 1978 in eine Wurmgrundkur für ihren behinderten Kater, Schwester Barbara 1982 in eine Zehnerkarte fürs Sonnenstudio und Frau Gröhn 1990 in irgendwas Schlangenledernes.
Folglich gab es für die aktuelle Betriebswette nur diese Option: Der monströse Tippschein musste von meiner Frau ausgefüllt werden. Ich ermunterte sie, ihre ganze fußballerische Inkompetenz in ihr WM-Orakel zu legen und in die Ergebnislisten ohne jede Scheu einzutragen, was ihr an Resultaten gerade so einfiel. Tatsächlich machte sie sich an die aufwändige Schreibarbeit. Immerhin galt es die Ergebnisse sämtlicher Vorrundenspiele, das Abschneiden der deutschen Mannschaft und den ganzen Rest vorherzusagen. Also die Gruppensieger sowie alle Finalteilnehmer bis hin zum Endspiel samt dessen Gewinner. Doch ach, sie kam nur bis Australien gegen Japan (4:2). Dann rief ihre Freundin Manita an, und danach hatte sie keine Lust mehr. Ich versuchte, die Kinder einzubinden, aber die wollten lieber Kika gucken.
Gestern war Abgabetermin. Ja, sie würde sich im Büro noch mal dransetzen, versprach mir meine Frau. Aber ich traute ihr nicht. Also habe ich mir flugs den Tippschein vorgenommen. Ich versuchte mich in eine Art Trancezustand zu versetzen, in einen Rausch des Unvermögens, durch den ich hoffte, meinen Fußballsachverstand unterdrücken zu können. Und das gelang mir durchaus. Wie sonst wäre ich darauf gekommen, dass die Deutschen schon in der Vorrunde und die Brasilianer bereits im Viertelfinale scheitern, während England und Schweden allenfalls das Spiel um Platz drei bestreiten. Vor allem aber das Finale hätte auch meine Frau kaum haltloser vorhersagen können: Spanien gegen die Schweiz. Das sind die Endspielteilnehmer nach meiner bewusstseinsausschaltenden Prognose. Und Weltmeister wird … nein, verrate ich nicht. Will meiner Frau schließlich nicht die Gewinnquote versauen. Es winkt immerhin ein Urlaub.