: Bischof will von Missbrauch nichts wissen
ITALIEN Würdenträger wusste von Vergewaltigungen und tat nichts: „Bin Bischof, nicht Ermittler“
ROM taz | Ein in Rom laufender Missbrauchsprozess gegen einen katholischen Priester wird zum Lehrstück, wie wenig sich die vom Papst gepredigte „harte Linie“ gegen Täter im Talar bisher in der Praxis durchgesetzt hat. Der Angeklagte Ruggero Conti war bis 2008 Pfarrer der Stadtrandgemeinde im Viertel Selva Candida. Vor zwei Jahren wurde er verhaftet. Er soll zehn Jungen im Alter zwischen elf und 16 Jahren im Zeltlager oder in der Pfarrei vergewaltigt haben. Conti selbst streitet die Vorwürfe ab und erklärt sich zum Opfer einer Intrige. Doch Aussagen belasten ihn schwer.
Skandalös erscheint auch die Reaktion seines Bischofs. Selva Candida ist nur wenige Kilometer vom Vatikan entfernt, gehört aber zur Diözese „Porto e Santa Rufina“. Deren Bischof Gino Reali gab am Donnerstag im Zeugenstand einen Einblick in die Sicht katholischer Hierarchien auf Missbrauchsfälle in den eigenen Reihen. Gewiss, er habe schon 2006 von Gerüchten um Don Conti erfahren, aber keine sicheren Beweise vorgelegt bekommen; „bloß“ der Brief eines Missbrauchsopfers mit detaillierten Schilderungen war bei ihm eingegangen. Da stellte der Bischof Don Conti zur Rede: „Ich verlangte, dass er sich vorsichtiger verhalten sollte, dass er die Kinder nicht mehr bei sich zu Hause empfangen und aufhören sollte, sie zu küssen und zu umarmen.“
An eine Anzeige dachte er nicht. „Den Vatikan habe ich nicht informiert, weil ich das Material für nicht ausreichend hielt, und an die Justizbehörden habe ich mich nicht gewandt, weil ich nicht weiß, welche Wege man da einschlagen muss.“ Schon im Vorfeld des Prozesses hatte Gino Reali sich ähnlich allergisch gegen die weltliche Justiz gezeigt. Auf die Vorhaltung, er habe doch Informationen über zahlreiche Verdachtsfälle erhalten, hatte er erwidert, für ihn seien das bloß „Gerüchte“ gewesen – er sei eben „Bischof und nicht Ermittler“. Dies brachte ihm eine Anzeige der Opfervereinigung und Nebenklägerin „La Caramella buona“ wegen Begünstigung von Kindesmissbrauch ein.
Stillschweigen herrscht bei der Bischofskonferenz wie beim Vatikan. Da der Fall von Italiens Öffentlichkeit weitgehend ignoriert wird, fühlen sich die Monsignori in Rom offenkundig nicht sehr in der Pflicht, nun auch direkt vor der Haustür des Vatikans den Versprechen zum neuen Umgang mit Missbrauch Taten folgen zu lassen. MICHAEL BRAUN