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Archiv-Artikel

Sex und Liebe und der Markt

MACHT Die US-amerikanische Feministin Debra Satz fragt nach den Auswirkungen von Marktgesetzlichkeiten auf die gesellschaftliche Kultur

VON CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Sollte man Prostitution verbieten? Mit einem Jein beantwortet diese Frage die in Stanford tätige feministische Philosophin Debra Satz. In ihrem Buch „Von Waren und Werten“ macht sie sich Gedanken über „Die Macht der Märkte und warum manche Dinge nicht zum Verkauf stehen sollten“. Allen, die Schützenhilfe für ihre Verbotsimpulse suchen, dürfte bei der Lektüre bald der Kopf schwirren.

Zunächst ruft Satz die Beobachtung von Adam Smith in Erinnerung, dass sich Marktteilnehmer oft in asymmetrischen Machtbeziehungen befinden. Wie er befürwortet sie Rahmenbedingungen, die hier einen Ausgleich schaffen. Rhetorisch umarmt sie damit die in den USA stark vertretenen Marktradikalen, schlägt ihnen aber zugleich ein argumentatives Schnippchen in Richtung Egalitarismus: Sie teilt deren Vorbehalte gegen paternalistische Vorannahmen und entsprechende staatliche Eingriffe. Zumindest müsse der Staat allerdings die Bedingungen herstellen und schützen, „unter denen seine Bürger als Gleiche interagieren können“.

Um Märkten mit besonders asymmetrischen Machtbeziehungen beizukommen, schlagen einige politische Philosophen wie John Rawls den Ausgleich von Einkommensunterschieden vor. Dagegen wendet Satz ein, Umverteilung allein könne Statusunterschiede nicht ausgleichen: „Die wenigsten Behinderten wären wohl mit einer Ressourcenkompensation zufrieden, die ihren minderwertigen und marginalisierten Sozialstatus unangetastet ließe.“

Kein Prostitutionsverbot

Andere wie Michael Walzer oder Michael J. Sandel möchten gewisse Güter generell nicht mittels eines Marktes verteilt wissen. Wie aber soll, fragt sich Satz, angesichts der vielen unterschiedlichen Ansichten über die Bedeutung einzelner Güter wie auch über das menschliche Gedeihen im Allgemeinen praktisch eine Einigung darüber erzielt werden, welche Märkte zu verbieten sind?

Satz schlägt vier Kriterien vor, die frei von solchem Moralismus sind. Die ersten beiden betreffen die Voraussetzungen von Märkten: große Bildungs- und Informationsdefizite einerseits, große Armut andererseits. Als toxisch gelten ihr weiterhin Märkte, die im Ergebnis extrem schädlich sind, entweder für den Einzelnen oder für die Gesellschaft im Ganzen. Man denke an die Folgen von Kinderarbeit oder die Auswirkungen der Geschäfte mit Kreditderivaten.

Im besonders lesenswerten Herzstück des Buches diskutiert Debra Satz ihre Kriterien an den Beispielen Leihmutterschaft, weibliche Sexarbeit, Kinderarbeit, Schuldknechtschaft und Organhandel. Dabei erweist sie sich als versierte Kennerin der jeweiligen Debatten und scheut auch die Konfrontation mit möglichen Einwänden nicht.

Ein ums andere beleuchtet sie diverse Aspekte des Themas Prostitutionsverbot. So trägt Satz etwa dem Einwand von Sexarbeiterinnen Rechnung, sie würden in den Debatten regelmäßig als Opfer stigmatisiert. Dass Prostitution denen, die sie ausüben, schade, lässt Satz als Verbotsgrund nicht gelten, schließlich könnten auch Märkte für besonders fettreiche Lebensmittel Schaden anrichten. Ein Verbot berge jedoch erhebliche paternalistische Konsequenzen und wäre wohl kaum konsensfähig. Wenn Satz den Handel mit weiblicher Sexarbeit für toxisch hält, dann deshalb, weil er unter den gegebenen Verhältnissen „zur Stabilisierung einer sozialen Welt bei[trägt], in der Frauen eine untergeordnete soziale Gruppe bilden“.

Ein Verbot jedoch liefere die Frauen, nun kriminalisiert, nur stärker dem „Schutz“ eines Zuhälters aus. Stattdessen schlägt Satz vor, den Prostitutionsmarkt in einigen Punkten zu reglementieren: die Sexarbeiterinnen besser vor Vergewaltigung zu schützen, den Gesetzen zur Mündigkeit für den Geschlechtsverkehr Geltung zu verschaffen oder Vermittlertätigkeiten zu verbieten.

Die schöne Ausgewogenheit der Argumentation verdankt sich dem politischen Umstand, dass in den USA das Prostitutionsverbot von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung befürwortet wird. Käuflicher Sex ist, mit Ausnahme weniger Gerichtsbezirke in Nevada, in allen Bundesstaaten verboten. Satz inbrünstig vertretenen Liberalismus kann aber auch der anders gelagerten deutschen Debatte nur nützen.

Debra Satz: „Von Waren und Werten. Die Macht der Märkte und warum manche Dinge nicht zum Verkauf stehen sollten“. Aus d. Engl. v. M. Adrian u. B. Engels. Hamburger Edition, Hamburg 2013, 318 S., 32 Euro