„Ich bin marginalisiert in meinem Land“

THEATER Die tunesische Regisseurin Meriam Bousselmi bringt ihre Stücke in Deutschland heraus und versucht die Situation in ihrer Heimat von außen zu kritisieren

■ Person: geboren 1983 in Tunis, studierte Rechts- und Politikwissenschaft. Von 2002 bis 2007 war sie als Dramaturgin und Regisseurin am Centre Arabo-Africain de Formation et de Recherches Théâtrales in Tunis tätig. Sie wurde mehrfach als Autorin und als Regisseurin ausgezeichnet. 2012 war sie Stipendiatin der Sektion Darstellende Kunst der Akademie der Künste Berlin.

■ Aufführungen: Derzeit probt Meriam Bousselmi in Algier ihr Stück „Sin of Success“ („Sünde Erfolg“). Das Interview wurde via Mail geführt. Die Uraufführung findet am 20./21. 11. in Köln beim Festival „Globalize: Cologne“ statt, weitere Vorstellung am 23. 11., Theater an der Ruhr/Mülheim. Zu sehen sind außerdem ihre Stücke „Was der Diktator nicht gesagt hat“ (Mülheim, 24. 11.) und „Truth Box“ (Mülheim: 12.–15. 11., Köln: 29., 30. 11., 1. 12.)

INTERVIEW CHRISTOPH ZIMMERMANN

taz: Frau Bousselmi, wie lässt sich die gegenwärtige politische Situation in Tunesien beschreiben?

Meriam Bousselmi: Der revolutionäre Impuls ist erlahmt und droht in einem lautstarken Durcheinander zu verkümmern. Verantwortlich für diese trostlose Situation sind die Islamisten. Ihre Verblendung, ihre Inkompetenz und ihre Gewalt haben das Land komplett ruiniert. Die Ennahda-Partei und ihr Führer Rachid Ghannouchi wollen in Tunesien einen terroristischen Staat unter dem Deckmantel der Demokratie errichten und dabei die Muslimbruderschaft zu einem transnationalen Verbund ausbauen.

Was bedeutet der Einfluss islamischer Gruppen für Ihre Arbeit als Regisseurin?

Ich konnte im vergangenen Jahr in Tunis nicht inszenieren. Das wird vermutlich auch so bleiben, solange das islamistische Regime an der Macht ist. Ich weigere mich, unter einem Kulturminister zu arbeiten, der Künstler mit Aussagen wie „Kunst muss schön und nicht revolutionär sein“ oder „Kunst darf die Religion nicht kritisieren“ zu bevormunden versucht. Ich bin marginalisiert in meinem Land in einem doppelten Sinn: weil ich als antiislamische Radikale gelte und weil ich eine Frau bin. Also versuche ich mit Stücken wie „Sabra“, „What the Dictator did not say“ oder „Sin of Success“ die politische Situation in Tunesien von außen zu kritisieren. Es ist effektiver, die Inszenierungen im Ausland zu produzieren und sie erst dann in Tunesien zu zeigen.

Worum geht es in Ihrem neuen Stück, „Sin of Success“, das jetzt beim Kölner Festival „Globalize: Cologne“ zur Uraufführung kommt?

Da das Theater nicht die Welt verändern kann, müssen wir die Art, wie wir Theater machen, ändern. Mein Stück „Sin of Success“ stellt die Frage, wie die Maschine Theater und die Maschine weiblicher Segregation funktionieren. Das Theater ist bekanntlich nicht weniger patriarchalisch als andere gesellschaftliche Bereiche. Der Abend wechselt ständig zwischen Fiktion, Kommentar der Fiktion und der Rekonstruktion autobiografischer Erfahrungen und analysiert das Rollenmodell der unterwürfigen Frau in der arabischen Gesellschaft und in Europa.

Welchen Plot erzählt „Sin of Success“?

Es geht um eine junge Künstlerin, die bei einem Festival für ihre Arbeit geehrt werden soll. Beim Festakt drängt sich ein männlicher Mitarbeiter ihres Teams vor und nimmt den Preis an ihrer Stelle entgegen. Künstlerinnen versuchen, ihren Protest gegen diese Marginalisierung in Form eines Stücks zu formulieren. Ihre Uneinigkeit über den Inhalt dieses Stücks ist insofern fruchtbar, als sie Debatten über weiblichen Aktivismus, seine Mittel und seinen Erfolg in Gang setzt.

Sie arbeiten mit berühmten arabischen Schauspielerinnen. Inwieweit gehen deren biografische Erfahrungen in das Stück ein?

Die Lebensgeschichten und die Ansichten meiner Figuren überschneiden sich mit denen der Darstellerinnen. Deshalb war es wichtig, eine internationale Besetzung mit Frauen aus Ägypten, Syrien, Marokko und Algerien zu wählen, die von einem Kabyle-Spieler begleitet werden. Es geht darum, Formen des weiblichen Widerstands sichtbar zu machen, gerade angesichts der wachsenden Frauenfeindlichkeit im Zuge des Arabischen Frühlings und des erstarkenden politischen Islam.

Inwieweit kann das Theater zu diesem Widerstand beitragen?

„Ich weigere mich, unter einem Kulturminister zu arbeiten, der Künstler mit Aussagen wie ‚Kunst muss schön sein‘ zu bevormunden versucht“

„Sin of Success“ ist mehr als ein Theaterprojekt. Es ist ein Prozess des Nachdenkens über uns selbst, über unser Geschlecht und die Bedingungen des Erfolgs. Das Echo dieser Erinnerungsarbeit und der Analyse werden vor allem in den letzten beiden Szenen des Stücks anschaulich werden. Wir wollen unsere Erfahrung aber auch mit anderen Frauen teilen und planen die Einrichtung einer Website, für die die marokkanische Schauspielerin Amal Ayouch speziell ein Proben-Tagebuch verfasst. Wir verstehen uns als Kern einer internationalen Gruppe, die auch in Zukunft weiter für die Rechte der Frauen und das bessere Verständnis der Geschlechter arbeitet.

Wie steht es derzeit um die Rechte der Frauen in Tunesien?

Tunesische Frauen haben mehr erreicht als die Frauen anderer arabischer Staaten. Aber einige dieser Errungenschaften wurden durch die Welle des Konservatismus und der Reislamisierung wieder zunichtegemacht. Aber wir werden kämpfen, auf der Straße, in der Partnerschaft, in Büchern, um den früheren Status wiederherzustellen.

Inwieweit ähnelt oder unterscheidet sich die gesellschaftliche Stellung arabischer und europäischer Frauen?

Sicherlich verfügen westliche Frauen auf den ersten Blick über eine größere Freiheit, vor allem über größere sexuelle Freiheit. Es ist allerdings ein Klischee zu glauben, dass ein großer Unterschied zwischen europäischen und arabischen Ländern besteht. Die Unterdrückung funktioniert im Westen in Wirklichkeit nur diskreter als in der arabischen Welt. In der Realität sind Frauen in Europa den Männern natürlich nicht gleichgestellt, sie tun aufgrund einiger Vorteile aber so, als ob es der Fall wäre. Die Wunschfantasie des westlichen Mannes ist eine passive, intellektuelle Frau mit Kleidergröße 38, die arabische Fantasie ist die von Scheherazade, die mit Worten Männer befriedigen kann. Hier wie dort ängstigt die subversive Intelligenz erfolgreicher Frauen die Männer, weil sie deren Macht infrage stellt.