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Archiv-Artikel

„Die falsche Art von Deutsch“

Die Institution Schule benachteiligt Migrantenkinder, sagt die Soziologin Heike Diefenbach. Fehlende Sprachkenntnisse sind nicht das entscheidende Problem

taz: Frau Diefenbach, aus der neuen Pisa-Auswertung geht hervor, dass Migrantenkinder in Deutschland so schlechte Bildungschancen haben wie in kaum einem anderen Industriestaat haben. Woran liegt das?

Heike Diefenbach: In der öffentlichen Diskussion werden dafür gerne mangelnde Deutschkenntnisse und die soziale Herkunft der Kinder angeführt. Entscheidender sind aber Mechanismen, die im Bildungssystem ansetzen – also an der Institution Schule. Hier liegen nicht nur die wesentlichen Ursachen, sondern hier können auch am effizientesten Veränderungen vorgenommen werden. Denn die soziale Herkunft einer Familie können Sie nicht ändern, aber Sie können im Bildungssystem günstigere Bedingungen schaffen.

Wie kann das Bildungssystem migrantenfreundlicher werden?

Das fängt bei Kleinigkeiten schon an. Zum Beispiel sind viele Migrantenkinder bilingual. Sie können aber nicht davon profitieren, weil ihre Muttersprachen oft nicht als zweite Fremdsprachen anerkannt werden. Entscheidend aber ist: Durch das dreigliedrige Schulsystem entsteht eine ethnische Segmentierung des Bildungssystems. Aus meiner Forschung geht eindeutig hervor, dass Migrantenkinder auf Integrierten Gesamtschulen häufiger weiterführende Abschlüsse erreichen – mehr als im dreigliedrigen Schulsystem.

Warum leiden Migrantenkinder unter der Dreigliedrigkeit der Schule?

Weil sie ganz stark zum frühen Zeitpunkt aus den weiterführenden Schulen herausgefiltert werden. In der Gesamtschule werden sie nicht dafür bestraft, wenn sie zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas nicht geleistet haben.

Das gilt für sozial schwache Schüler auch. Werden Migrantenkinder in der Schule besonders diskriminiert?

Es ist vermutlich nicht so, dass Lehrer türkische Kinder nicht mögen und ihnen schlechte Noten geben. Das gibt es vielleicht auch, das erklärt aber sicherlich nicht die Daten, mit denen wir nun konfrontiert sind. Ich glaube vielmehr, die Diskriminierung liegt an der Eigenlogik der Schulen: Sie müssen mit knappen Mitteln auskommen und suchen nach Möglichkeiten, den Aufwand zu minimieren, den eine heterogene Schülerschaft bedeutet. Deswegen wollen sie schwierige Schüler dadurch vermeiden, dass man sie in bestimmte Kanäle verschiebt. Es ist belegt, dass zum Beispiel Sonderschulen entgegen ihrem gesetzlichen Auftrag dazu genutzt werden, um Kinder dorthin abzuschieben, die nicht ausreichend Deutsch sprechen.

Können die Migrantenkinder durch Sprachförderprogramme, die seit der neuen Pisa-Auswertung wieder im Gespräch sind, besser in die Schule integriert werden?

Niemand hat etwas gegen Sprachförderung. Aber es liegt nicht nur an der Sprache. Das Problem ist nicht, dass die Schüler mit Migrationshintergrund kein Deutsch können. Das eigentliche Problem ist: Sie können die falsche Art von Deutsch. Zum Beispiel der türkischstämmige Hauptschüler, der hier geboren wurde, der schwätzt hessisch und kann das wahrscheinlich sehr gut. Mit den Freunden in der Eisdiele und auf dem Fußballplatz. Das ist aber nicht die Art von akademischer Sprache, die den Pisa-Aufgaben zugrunde liegt.

In der Pisa-Auswertung schneiden Migrantenkinder, die hier geboren wurden, schlechter ab als jene, die zugewandert sind. Macht Deutschland die Migranten immer dümmer?

Der Frage liegt die Annahme zugrunde, es läge an den Schülern selbst, dass sie so schlecht bei Pisa abschneiden. Das heißt, die Schule würde tatsächlich nach Intelligenz selektieren. Wir wissen aber, dass dem nicht so ist.INTERVIEW: SASCHA TEGTMEIER