: Shrimps und Petroleum
ÖLPEST BP steckt in der Krise. Doch der Konzern ist fest verankert in der Gesellschaft. Ein dichtes Netz hält Fischer, Politiker, Kritiker und BP zusammen
AUS MILWAUKEE DOROTHEA HAHN
„BP sollte das Geschäft verboten werden“, sagt eine junge Frau am Tresen. „Die haben uns an der Nase herumgeführt. Dafür sollen sie büßen“, sagt ein Mann.
Die Szene spielt 1.700 Kilometer weit vom Ort der Explosion der „Deepwater Horizon“ im Norden der USA. In der Stadt Milwaukee am Michigan-See ist es einfach, Leute zu finden, die harte Konsequenzen aus der Katastrophe im Süden ihres Landes verlangen. Wie fast überall in den USA denken sie dort über Offshore-Ölbohrungen kritischer nach als noch vor eineinhalb Monaten. Doch in Louisiana, wo seit vergangener Woche ein schwerer rot-brauner Schlick an die Küste schwappt, ist die Stimmung unverändert anders. Dort kommt es stellenweise zu Wut und Verzweiflung. Aber dennoch: In Louisiana gehört das Öl „zur Kultur“. Auch bei den vor der Zerstörung ihrer Fischgründe stehenden Fischern. Und sogar bei UmweltschützerInnen. Letztere hoffen bloß, dass die Katastrophe zu einer stärkeren Kontrolle der Ölkonzerne führt.
Der wirtschaftlich schwache Staat im Süden lebt eine Symbiose zwischen Fischerei und Öl. Vom Öl hängen in Louisiana rund 300.000 Arbeitsplätze ab. Hinzu kommen all jene, die von den Schecks der Mineralölkonzerne profitieren. Von sämtlichen PolitikerInnen, die Gelder aus den Portokassen der Konzerne einstecken, über die Fischer, die zwischendurch für gut bezahlte Gelegenheitsjobs im Mineralölsektor anheuern. Als am 20. April die „Deepwater Horizon“ explodiert, gehen zwar Bilder von der brennenden Ölplattform um die Welt. Doch fast alles, was anschließend im Golf von Mexiko geschieht, bleibt der Öffentlichkeit verborgen.
Zusammen mit der US-Küstenwache organisiert der Konzern eine „Task Force“. Deren Hauptquartier ist ein Konferenzzentrum in dem eineinhalb Autostunden nördlich von New Orleans gelegenen Ort Robert. Eigentümer ist ein anderer Mineralölriese, der ebenfalls in Louisiana tätig ist: Shell. Das Katastrophengebiet 80 Kilometer vor der Küste wird eine No-go-Area.
Bei der Task Force laufen alle Fäden zusammen. Dort müssen sich Fischer mit ihren Booten für die Hilfsarbeiten melden. Und dort finden Pressekonferenzen statt.
Sämtliche Bilder von den Rettungseinsätzen gehen vor ihrer Freigabe an die Medien durch den Filter der Task Force. Und selbst für die Freigabe eines 31 Sekunden langen Videoclips vom Meeresboden, der austretendes Öl zeigt, ist tagelanges Drängen von außen nötig. Auch die Zahlen setzt der Konzern taktisch ein. Die Zusammensetzung des Dispergierungsmittel, das zu hunderttausenden Litern ins Meer gespritzt wird, um Öl zu binden, behandelt BP als „Geschäftsgeheimnis“. Und wochenlang erklären seine Sprecher, es gäbe keine präzisen Angaben zu der Ölmenge, die aus dem Loch in 1.500 Meter Tiefe in den Golf sprudelt. Als es nach einem Monat gelingt, einen Teil des austretenden Öls abzupumpen, will BP freilich sofort wissen, um wie viel Prozent des insgesamt ausgetretenen Öls es sich bei der abgefangenen Menge handelt.
Der Unmut gegen den Klüngel unter Ausschluss der kritischen Öffentlichkeit formiert sich weit weg von Louisiana. Präsident Barack Obama prägt den Ausdruck „gemütliche Beziehung“, um die Mauschelei zwischen den Mineralölkonzernen und ihren behördlichen Kontrolleuren zu beschreiben. Mehr als vier Wochen nach der Explosion schicken Innenministerin Janet Napolitano und die Chefin der Umweltbehörde EPA einen bösen Brief an BP, in dem sie den Konzern ob seines „Mangels an Kommunikation“ kritisieren. Die sei „zu schwach – sowohl in Ausmaß als auch in Effizienz“.
Als der Brief aus Washington kommt, schwappt in Louisiana das Öl an die Küste. Damit wird die Katastrophe, die wochenlang etwas Virtuelles hatte, plötzlich real. Das positive Bild der Mineralölbranche ist dadurch vor Ort nicht beeinträchtigt. Dort wiegen die Traditionen schwer. Selbst das Festival „Shrimps und Petroleum“, das die Symbiose der beiden Haupterwerbszweige im Namen trägt, soll im kommenden Herbst wie gewöhnlich stattfinden. Zum 75. Mal.