: Frische Tünche für eine Ruine
Der CDU ist ihre „Qualitätsoffensive Hauptschule“ eine Herzenssache. Doch die Schülerzahlen gehen stark zurück und selbst Wirtschaftsverbände geben der Restschule keine Perspektive
VON PASCAL BEUCKER
Ein Ladenhüter wird langsam aus dem Sortiment genommen: Zwei von drei Hauptschulen zwischen Rhein und Ruhr sind aufgrund rückläufiger Schülerzahlen akut in ihrer Existenz gefährdet. Das ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung, die der NRW-Landesverband der Lehrergewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Auftrag gegeben hatte.
Konkret sind danach 499 der rund 730 Hauptschulen in ihrem Bestand bedroht. „Die Landesregierung muss sich dieser Entwicklung stellen und sollte sie als Chance zum Umdenken in Schulstrukturfragen ansehen“, fordert nun der VBE-Landesvorsitzende Udo Beckmann. Denn: „Wer diese Entwicklung nicht zur Kenntnis nimmt, handelt fahrlässig.“
Bisher stoßen solche Warnungen jedoch bei der schwarz-gelben Landesregierung auf taube Ohren. Lieber legt Schulministerin Barbara Sommer unverdrossen das Glaubensbekenntnis ab, alles müsse so bleiben, wie es ist. Mit einem neuen Anstrich soll die Ruine als strahlendes Haus erscheinen: Unermüdlich wirbt die Christdemokratin für ihre „Qualitätsoffensive Hauptschule“ und bekennt, gerade diese Schulform läge ihr „besonders am Herzen“.
Andernorts hat die Macht des Faktischen längst zum Umdenken geführt – sogar in CDU-geführten Landesregierungen. So denkt Sommers Parteifreundin Alexandra Dinges-Dierig, Hamburgs Schulsenatorin, mittlerweile laut darüber nach, dass es künftig in der Hansestadt nur noch ein zweigliedriges Schulsystem geben solle, wie dies bereits in Sachsen und Thüringen der Fall ist. Dort existieren neben den Gymnasien nur noch so genannte Stadtteilschulen. Ein Anfang. Nach Jahrzehnten der Stagnation ist wieder Bewegung in die Schulformdiskussion gekommen. Und auch NRW wird sich ihr auf Dauer nicht verweigern können.
Lange Jahre wurden Vorstellungen, die auf eine Überwindung des bestehenden Schulsystems zielten, als Spinnereien einiger unverbesserlicher linker GEW-Pädagogen abgetan und in die Mottenkiste gepackt. Aber die Zeiten ändern sich – zum Leidwesen sowohl des Realschullehrer- und Philologenverbands wie auch der Schulministerin. Das liegt nicht nur daran, dass immer weniger Eltern ihre Kinder auf jene „Restschule“ schicken wollen, die den Schülern als Zukunftsaussicht nur Perspektivlosigkeit zu bieten hat. Zu offensichtlich sind nicht erst seit den Vorfällen an der Berliner Rütli-Schule die gravierenden Probleme der Hauptschule.
So kommt die Forderung, die bestehende Dreiteilung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium abzuschaffen, an der die schwarz-gelbe Landesregierung festhalten will, inzwischen längst nicht mehr nur von den „üblichen Verdächtigen“. Das deutsche Schulsystem „reflektiert die Drei-Klassen-Gesellschaft des neunzehnten Jahrhundert“, mit ihm werde „die bestehende Ungleichheit der Gesellschaft zementiert“, kritisiert beispielsweise Hans-Werner Sinn, der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo). Deshalb passe es „nicht mehr in die heutige Zeit“ und gehöre „in den Abfalleimer der Geschichte“, so der linker Gesinnung gänzlich unverdächtige Münchner Professor. Seine Alternative: „Deutschland muss die Diskussion um die Gesamtschule noch einmal führen.“
Auch wenn die Vorsitzende der grünen Landtagsfraktion, Sylvia Löhrmann, diesen verfemten Begriff nicht in den Mund nehmen will, so hat auch sie erkannt, dass die Rufe „nach einer Schule, die alle Schülerinnen und Schüler mitnimmt und zu besseren Leistungen führt“, lauter werden. Regierungschef Jürgen Rüttgers und seine Schulministerin verharrten hingegen weiter „unbeirrt in ideologischen Sackgassen“, kritisiert Löhrmann und fordert neuerdings sogar den Rausschmiss Sommers: „Der Ministerpräsident muss Ministerin Sommer entlassen, um damit den Weg für einen inhaltlichen Neubeginn in der Schulpolitik freizumachen.“