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Archiv-Artikel

Eine Art Kriegskunst

DOPPELPACK Mit „Ruhe-Störung. Streifzüge durch die Welten der Collage“ präsentieren das MARTa Herford und das Kunstmuseum Ahlen ein gemeinsames Ausstellungsprojekt zur gegenwärtigen Bedeutung des Verfahrens

Auf der Schwelle zwischen der Auf- und Abwärtsbewegung der vorüberlaufenden Bilder findet man sich inmitten der Collage direkt auf der Klebefläche wieder

VON RADEK KROLZCYK

Collage klingt öde. Die Collage ist eine historische Kunstgattung. Sie findet bei Idealisten und Nostalgikern Verwendung. Und bei Künstlern von heute, die nach Traditionen suchen, an die sie anknüpfen können – um einen Hauch von Radikalität zu erheischen, von der zerstörerischen Kraft der Collage. Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts erfanden und kultivierten die Form der Collage. Mindestens Dada, Surrealismus, Pop-Art und Punk. Bewegungen der Krisenzeiten des bürgerlichen Status quo: Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Vietnamkrieg und Wettrüsten.

Die Collage ist eine Art Kriegskunst. Gezeigt wird eine zerstörte Welt und ihre auseinandergebrochenen Protagonisten. Hannah Höch und Raoul Hausmann ordnen Abfälle auf Papier zu Bildern; Hans Bellmer montiert seine Skulpturen aus den Gliedmaßen von Puppen. Die Collage spiegelt den Untergang und die Gefährdung der bürgerlichen Gesellschaften – und den Protest gegen sie. Die Avantgarde aber ist keine zeitgenössische Kategorie mehr. Die Macher sind tot. Neu ist over.

Was erhofft man sich von einer Ausstellung, die eine Aktualisierung der Collagenkunst behauptet? Was will und was kann die westfälische Doppelausstellung „Ruhe-Störung“ im MARTa Herford und im Kunstmuseum Ahlen? Und Ruhestörung? Geht das? Schafft das die Collage heute? Oder ist der Titel „Ruhe-Störung“ nicht mehr als eine Adelsplakette? Ist Collage heute nicht in Wirklichkeit ein nostalgischer Spleen von Materialfetischisten, die ihre Tage in Antiquariaten und auf Flohmärkten zubringen und nach alten Bilderbögen oder altem Spielzeug fahnden, um sich zumindest so fühlen zu können, als seien sie Jean Arp und Daniel Spoerri?

Der Titel erscheint zunächst als eine Art Idealisierung. Der Bezug auf eine historische Form ist eindeutig. Die Ausstellung aber kann auch ohne diesen Titel. Sie ist stark, funktioniert und schafft Neues. Sie aktualisiert das Thema der Collage, indem sie erst einmal Abstand zu ihr gewinnt. Zunächst. Auf diese Weise erst wird ein spielerischer Umgang mit der Formalie möglich. Und das geht so:

Im MARTa Herford ist eine vertikal ablaufende Videoarbeit von Ulu Braun ausgestellt. Ausschnitte aus Spiel- und Trickfilmen, Dokus und Fernsehshows sind aneinander montiert. Alles beginnt mit dem Auftauchen aus dem Wasser, man kommt an Land, wähnt sich angekommen und steigt doch immer weiter nach oben. Die Bewegung der Figuren nach oben ist beständig, während die Umgebung nach unten fließt. Man weiß selbst nicht, ob man steigt oder ob etwas fällt. Man sieht Kaskaden von Wasser, Steinen, Wolken. Es ist eine Auflistung von allem, was hängt oder fließt, Wasserfälle, Kleider, Haare und Äste. Begleitet wird das Ganze von repetitiven Sounds. Eine Art Suspense-Effekt wird erzeugt; man erwartet, dass etwas geschieht, aber es passiert nichts. Man steigt einfach nur immer höher. Der Film ist als Montagewerk der Collage verwandt. In Brauns Arbeit sieht man die Schnitte und Klebestellen. Der Effekt für den Betrachter ist unglaublich. Auf der Schwelle zwischen der Auf- und Abwärtsbewegung der vorüberlaufenden Bilder findet man sich inmitten der Collage direkt auf der Klebefläche wieder.

Die Ausstellung „Ruhe-Störung“ hält sich nicht lange mit alten kleinformatigen geklebten Papierarbeiten auf. Im MARTa etwa wird ein räumliches Konzept verfolgt. Die Historie wird allerdings nicht verleugnet. Es geht nicht ohne sie.

Der Museumsbau des MARTa ist für die Darstellung des Verhältnisses von Geschichte und Gegenwart ideal. Der Museumsarchitekt Frank O. Gehry hatte zu Beginn des Jahrtausends für Herford einen Museumsbau entworfen, der ganz ohne feste Zwischenwände auskommt. Der asymmetrische Rundbau hat in seiner Mitte eine Art Dom, von dem nach außen hin weitläufige Galerien mit hohen Lichthöfen ausgehen. Von oben sieht der Bau selbst wie eine Collage aus. Ein seltsames Gebilde aus lose hingeworfenen roten und silbern glänzenden Kegeln, dazwischen geschichtete Edelstahlplatten.

Im Dom sind die Klassiker untergebracht, von dort aus blickt man in die umlaufenden Galerien und auf die aktuellen Arbeiten. Verbindungen werden auf diese Weise deutlich. Man sieht Collagen von Arp, Höch oder Schwitters und schaut dabei direkt auf die räumlichen aktuellen Werke. Wobei auch hier sich selbstverständlich interessante Verbindungen bilden. Was könnten eventuell Künstler miteinander zu tun haben, deren Arbeitsweise erst einmal vollkommen unterschiedlich wirkt. Beispielsweise hängen dort späte Stoffbilder von Louise Bourgeoise neben den Papiercollagen von Jean Arp. Bourgeoise, eine Künstlerin, die lange Zeit aufgrund des Narrativen in ihrer Kunst ignoriert wurde, und ein Formalist wie Arp. Plötzlich wird die Nähe der beiden sichtbar, und man fragt sich, wie viel Formalismus in den Arbeiten von Bourgeoise und wie viel Narrativität in den Arbeiten von Arp steckt.

Hinter Konstellationen wie diesen durchqueren neuere Arbeiten die Räume. So etwa die Arbeit Anna Oppermann „Ensemble mit Dekor – Dekor mit Birken, Birnen und Rahmen“, entstanden im Zeitraum von 1980 bis 1992. Die Arbeit nimmt einen eigenen Raum ein und ist doch selbst eine Überlagerung unterschiedlicher Raumebenen. Oppermann hat hier unzählige kleine Dinge, wie Fotos, Postkarten und Zeichnungen zusammengetragen und immer wieder neu angeordnet.

Hinter den wirklichen Dingen sind große fotografische Aufnahmen früherer Anordnungen der selben Gegenstände zu sehen. Es erinnert an Computerfenster, die übereinander aufpoppen und sich überlagern. Entgegen der immer behaupteten Unordnung, die durch die Collage erzeugt wird, wohnt man hier einem sehr persönlichen Versuch bei, die Welt zu ordnen. Gleichzeitig ist die Collage hier Ergebnis eines langwierigen Prozesses, Ergebnis einer ganz konkreten Lebensführung. Der Alltag geht in Kunst über und taucht wieder aus ihr hervor.

Unorthodoxe Überlegung

Das Kunstmuseum Ahlen nähert sich dem Thema dann wieder von einer anderen Seite an. Ausgangspunkt ist dabei eine ebenfalls recht unorthodoxe kunsthistorische Überlegung. Und auch hier wird die vermeintliche Zerstörung als eigentliche Rettung erkennbar.

Als Vorläufer werden hier etwa Wunderkammern aufgeführt; zumeist fürstliche Sammlungen, in denen kunsthandwerkliche Arbeiten, skurrile Fundstücke und wissenschaftliche Apparate zusammengeführt wurden. Aus Mexiko stammen kleine Holzkästen, in denen man Käfer sammelte. Auch ein Vorläufer der Collage oder Assemblage, die rückblickend an die Materialsammlungen von Armand erinnern. Aber auch religiöse Gegenstände wie etwa Votivbilder, die man bei Monstranzen mit sich führt, gehören zu diesen Urcollagen.

In einem ganz anderen Licht erscheinen so die Collagen der Dadaisten: Die Anordnungen von Zeitungsausschnitten, Fahrkarten und Knöpfen sind nicht nur Hohn gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft, sondern gleichsam eine Klage über ihren Verfall. Das Sammeln ist also auch als Versuch zu verstehen, zu retten, was noch zu retten ist.

■ Bis 26. Januar, MARTa Herford und Kunstmuseum Ahlen, Katalog (Verlag Kettler) 32 Euro