Dozieren gegen die Kinderkacke

Lizenz zum Dauerreden: In der Hannoveraner Kestnergesellschaft setzt sich der Quer- und Vordenker Bazon Brock zum 70. Geburtstag selbst ein Denkmal. Er wünscht sich für die Kunst ein mündiges Publikum. Das aber betet ihn lieber ehrfürchtig an

„Nur wer ein Niemand ist, braucht ein Namensschild. Sind wir alle gleichberechtigte Niemande, dann nennt man das eine demokratische Gesellschaft.“

von Jens Fischer

Ecce homo. Ein Wahnsinniger. Ein Phänomen! Ein schroffes Massiv Universalgelehrtentum in einer medialen Öffentlichkeit des Halbwissens. Jürgen Johannes Hermann Brock, der Quer- und Vordenker, lädt in der Kestnergesellschaft Hannover jedes Luftmolekül mit seinem Geltungsbedürfnis auf, verkleidet sich aber mit weißkragiger Höflichkeit: messerscharf gescheitelt, biedermännisch beschlipst, mit einem lustvoll-stolz in den Raum ragenden Bäuchlein.

Der Professor emeritus für Ästhetik und Kulturvermittlung aus Wuppertal hat sich zu seinem 70. Geburtstag (am 2. Juni) das schönste Geschenk bereits gemacht: Er geht mit der Lizenz zum Dauerreden auf eine achtmonatige Tournee durch elf Museen und Kunstsammlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, um – täglich außer montags – eine Bilanz seiner „Arbeitsbiographie“ zu ziehen.

In bekennender Egozentrik nennt sich die Veranstaltungsreihe „Vom Sorgenkind zum Wundergreis“ und besteht aus „Lust- und Gewaltmärschen“ durch eine installative Versammlung wertvoller Bilder (etwa eines Neo Rauch) und wertlosen Nippes. Brock nennt sie alle „kognitive Objekte“. Er möchte Erkenntnis aus ihnen herausdozieren, um gegen all die „Kinderkacke“ anzuschwadronieren – will sagen: gegen alle Gedanken, die nicht von Brock selber stammen.

Sprechen wir also von „Kinderkacke“. Das „kognitive Objekt“ dazu im Brock-Raum der Hannoveraner Kestnergesellschaft ist ein überdimensioniertes Kinderställchen mit Kuschel-Schlumpf-Figuren. Das Brock‘sche Sprechen als Ausdruck einer assoziativen Ästhetik geht nun in etwa so: Vom „Lied der Schlümpfe“- Interpreten Vader Abraham führt uns Bocksprung zum biblischen Namenspatron desselben. Dieser – „der erste Faschist“ – sei bereit gewesen, für eine Idee das Liebste, was er habe – seinen Sohn – zu töten; so definiere Erzvater Abraham mit seiner Mordbereitschaft die Basis unserer Kultur. Im erwähnten Laufställchen wird diese Basis durch Badelatschen versinnbildlicht, die Brock aus den Luxushotels dieser Welt hat mitgehen lassen.

Zwischen Schlumpf und Latschen hat Brock Kriegsspielzeug platziert – als Verweis auf die Barbarei auch unserer westlichen Kultur. Sitzt im Publikum mal eine Kirchengemeinde, kriegt Brock sogar die Kurve, über die eigene Biographie Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg zu formulieren: Vor der Entfesselung des Menschen zum Krieger warnt er dann.

Aber Brock wäre nicht Brock, käme er nicht gleich wieder auf seine Sammlung von Namensschildern zu sprechen, die ihm auf Kongressen einst angeheftet und nun ebenfalls im Ställchen der Schlümpfe zusammengefegt wurden. Brock: „Nur wer ein Niemand ist, braucht solche Schilder. Sind wir alle gleichberechtigte Niemande, dann nennt man das demokratische Gesellschaft.“

Sprunghaft geht‘s zu bei Brock. Stundenlang. Brocks Suada kennt keine Grenzen. Weswegen er sich auch Bazon nennt, abgeleitet vom griechischen bazô („haltloses Sprechen“). Man könnte auch schwätzen sagen. Brock tappt über Vorder- und Hintergründe zu Seitenwegen, vernetzt rasant lexikalisches Wissen. Immer mit pädagogischem Impetus natürlich: In Zeiten, da Eindeutigkeiten bei der Kunstbetrachtung wieder begehrt sind, Kunst als Gourmet-Erlebnis propagiert wird, will er den Zugang zur Kunst nicht etwa erleichtern. Nein, er will sie in ihrer Vielfalt zum Sprechen und den Betrachter zum Denken bewegen. Dabei redet Brock nicht etwa über Techniken des Malens, sondern skizziert gesellschaftliche Zusammenhänge. Historisches Wissen sowie profunde Kenntnis philosophischer und wissenschaftstheoretischer Zusammenhänge, aber auch gesellschaftspolitische Überlegungen sind für ihn Voraussetzung der Kunstbetrachtung, die es professionell zu trainieren gilt.

Coach Brock hat dabei Wissensvermittlung und Selbstinszenierung zur Bildungsperformance verbunden, und auch die Hannoveraner Kestnergesellschaft ist nicht etwa Genuss-Ort des Schönen/Wahren/Guten, sondern Arbeitsort, sprich: Hörsaal. Weswegen selbst beim „Lustmarsch“ nur einer marschiert: Brock. Sein Problem: Im gleichförmigen Schlendertonfall redet er so viel um die ausgestellten Kunstwerke herum, dass nur er den roten Faden noch erkennt. Das Auditorium indes nimmt nur noch eine Sammlung gebildeter Pointen wahr. Die Brock mit Münzgeklimper und malenden Bewegungen der rechten Hand illustriert. Dabei wird er nicht müde, der verehrungssüchtigen Gemeinde ein „beten verboten“ zu predigen. Helfen tut es nichts: Erinnerungsfotos werden live gemacht, Autogramme höflichst erbeten. Jenseits des Fanblocks aktivieren die Zuhörer ihren Geist erst schmunzelnd, nach einigen Schlummerpausen zunehmend fasziniert. Brock beim Denken zuzusehen, das ist ein altmodisches Jahrmarktsvergnügen. Aber ein Vergnügen.

Am Devotionalientisch verkauft Brock dann Kulturinsignien wie Strumpfbänder oder Haarbürsten. Darauf steht: „Im Bürsten der dreckigen Bürsten zeigt sich täglich reinigende Selbstbezüglichkeit.“ Es gibt auch Glücks-Kekse, auf denen Sentenzen aus Brocks Büchern stehen. Gereicht werden Baisers mit Farbfleck, was den Geschmack nicht irritiert. Bis zur Belehrung aus dem Hause Brock. Denn der Baiser, so heißt es, verweise als Eiweißschaumgebäck auf die Schaumgeborene, also die Venus, also die Liebe. Sie symbolisiere so ein Bettlaken, auf dem der goldene Klecks das Sperma der Götter, der blaue das Sperma der Literaten darzustellen habe. Die haben also wohl in die Welt hinein onaniert, so dass wir an ihrer Potenz teilhaben, sie verinnerlichen, sie in uns selbst zur Kunst fortpflanzen können. Oder so ähnlich.

Im Theoriegelände Brocks bewege man sich immer am „Rande der Klugscheißerei“, wie ein Mitarbeiter des Über-Intellektuellen gesteht. Nach den Hannoveraner Erklärungen indes wollte kein Zuhörer mehr bekleckste Baisers verspeisen. Keiner mehr die Brock‘sche Kunst genießen. Beklommenheit statt Lust auf Süßes, Ohrensausen statt Lust auf Bildbetrachtung.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 25. Mai, Termine für Führungen und alle weiteren Infos unter www.kestner.org