: Knöcheltief im Konjunktiv
Das Spiel BRD – Polen bei der WM 1974 ist als „Frankfurter Wasserschlacht“ in die Fußball-Historie eingegangen. Das Babylon widmet dem mythischen Extremsport-Event einen Nachmittag mit Dokumentationen und Archivmaterial
Die Fußball-WM möchte unbedingt und nur ergebnisorientiert Gegenwart sein. Bis es dazu kommt, kann man allgemein und vergleichend der Vergangenheit gedenken. Im Rahmen des „filmPolska 06“-Festivals im Babylon geht es einen Nachmittag lang um eines der großen, seltsamen Spiele der Fußballgeschichte: die „Wasserschlacht von Frankfurt“, die am 3. Juli 1974 zwischen der BRD und Polen stattfand und 1:0 für die Unsrigen endete. Hätten die Polen gewonnen, wären sie ins Finale gekommen.
„Górskis Adler“ waren die Überraschungsmannschaft des Turniers und gelten als beste polnische Mannschaft aller Zeiten. Spieler wie Deyna, Gorgoń, Lato, Kasperczak oder Szarmach sind Nationalhelden. Rückblickend war es ein Spiel des großen Konjunktivs: Hätte es nicht so geregnet, hätten die Polen, die damals den schnelleren, technisch versierteren Fußball spielten, vielleicht gewonnen und wären möglicherweise Weltmeister geworden. Oder, wie es der damalige polnische Trainer Kazimierz Górski formuliert: „Wenn das Spiel unter normalen Bedingungen stattgefunden hätte, weiß ich nicht, ob wir gewonnen hätten.“ Darüber, dass der Platz eigentlich unbespielbar war, sind sich alle einig. Das Wasser stand knöcheltief, obgleich eifrig versucht wurde, mit Wasserabsaugwalzen, Flachsaugern und Wasserstrahlpumpen für Ordnung zu sorgen.
Im Babylon wird das historische Spiel in verschiedenen Versionen gezeigt. Es gibt eine Zusammenfassung mit tragischer Programmmusik, eine von Kornel Miglus und Elwira Niewiera hergestellte Dokumentation mit Interviews mit den damals Beteiligten und interessanten Toncollagen – sowie die ungekürzten polnischen bzw. deutschen Übertragungen des Spiels, das erst mit halbstündiger Verspätung angepfiffen wurde.
Es ist superangenehm, dies Spiel ganz leidenschaftslos zu verfolgen. Besonders interessant an den ungekürzten Übertragungsversionen ist diese halbe Stunde, in der eigentlich nichts passiert, die irgendwie gefüllt werden musste – mit Fragen von Zuschauern etwa, die sich erkundigen, ob die Spieler auch barfuß spielen dürfen.
Eine Weile gibt es nur von lässiger James-Last-Musik unterlegte Bilder von Helfern, die das Wasser wegzukriegen versuchen; und von Feuerwehrautos, die an den Spielfeldrand fahren. Irgendwie macht alles einen sehr zivilen, aufgeklärten Eindruck – die Fahnen sind noch nicht so groß wie heutzutage, die Spieler sehen alle so beatmäßig aus und der Moderator, H.–J. Rauschenbach, macht zwischen albernen gartenzwerggroßen Tipp-Kick-Figuren seinen Job. Im Hof des Hauses des ehemaligen polnischen Trainers hängt übrigens ein Schild, auf dem steht „Fußballspielen verboten“.DETLEF KUHLBRODT
„Wasserschlacht WM 1974“ läuft heute, 15.30 Uhr, im Rahmen des „filmPolska 06“-Festival im Babylon Mitte