: Weicher in Form und Farbe
WEISSRUSSISCHE KUNSTSZENE Die Ausstellung „Dach 10“ im Kunsthaus Tacheles zeigt Werke von Malern aus Weißrussland, die einen eigenen Stil entwickeln
In Jogginghose und Kapuzenpullover steht Alexander Rodin auf dem Gehweg vor dem Berliner Kunsthaus Tacheles, wo sich auch sein Atelier befindet. Gerade ist ein Transporter mit weißrussischem Kennzeichen vorgefahren, jetzt hilft der Künstler seinem Kollegen und Landsmann Sergei Timokhov beim Ausladen der 55 Gemälde, die im Rahmen der Ausstellung „Dach 10“ im Tacheles vorgestellt werden. Der seit fast zehn Jahren in Berlin arbeitende Künstler hat acht Maler aus seiner Heimat zu einer Sammelausstellung geladen.
„Wir möchten den Deutschen unsere Kunst näherbringen“, sagt Timokhov. Sechs der acht Werke, die er für „Dach 10“ auswählte, sind Akte. Zurzeit eine sehr beliebte Form in seiner Heimat, sagt der Künstler. Seine „Grazien“ baden entweder in einer von großflächigen Blautönen dominierten Dunkelheit, die von blassgoldenem Mondlicht durchbrochen wird, oder verschmelzen mit einer glühend roten Umgebung. Timokhovs Bilder wirken harmonisch, fast schon unbedarft. Zu ihnen gesellen sich die farbenfrohen Kindheitsfantasien von Andrei Savich. Ein Dreirad, zwei Hunde auf Rollen, ein Fischtrio kommen als verranzte Kultobjekte daher.
Bis zum Zusammenbruch der UDSSR sei die weißrussische Kunst abgeschottet gewesen, habe im eigenen Saft geschmort, erklärt Timokhov. Gerade deswegen hätte sich aber etwas ganz Eigenes entwickeln können. „Heute ist der weißrussische Stil in Form und Farbe weicher und naiver als der westliche. Manche könnten sagen, rückständiger. Ich denke aber, unsere Kunst hinkte so weit hinterher, dass sie jetzt durch die Hintertür wieder herausgekommen ist“, scherzt der Maler, der als Vorstandsmitglied des weißrussischen Künstlerverbands die Ausstellung mit organisierte. In Weißrussland würden Künstler mittlerweile sehr eigene Stile entwickeln, die nicht nur auf sowjetischen Realismus, sondern auf Symbolismus, Surrealismus und abstrakte Malerei verweisen. Das gilt auch für Alexander Rodins Werke, die mal farbintensive, mal finstere Traumlandschaften beschwören, sich esoterischer Symbolen bedienen oder in kaleidoskopische Abstraktion abdriften.
„Heute ist Künstlerverband weder finanziell noch politisch von der Regierung abhängig. Es gibt keine Staatskunst mehr“, sagt Timokhov. Das war nicht immer so. „Zu Zeiten der Sowjetunion gehörte ich zum künstlerischen Untergrund. Das heißt, ich arbeitete lange Zeit in Kellern und auf Dachböden, ich hatte nur wenige Möglichkeiten, auszustellen“, erinnert sich Rodin. „Erst als der eiserne Vorhang fiel, konnte ich meine Arbeiten zeigen. Ich bekam Einladungen nach Holland und nach Deutschland, dann wurde mir das Atelier im Tacheles angeboten. Und mit der Zeit änderte sich auch in der Heimat die Mentalität.“
Trotz einer gewissen positiven Entwicklung ist es mit der künstlerischen Freiheit in Weißrussland heute aber immer noch nicht weit her. Das zeigt sich vor allem am Nichtvorhandensein von politisch engagierter Kunst. Eine karikaturhafte Darstellung des Präsidenten Alexander Lukaschenko würde einen Skandal auslösen, gesteht Timokhov ein. „2007 hat der Direktor des Minsker Kunstpalastes eine Ausstellung gleich nach der Eröffnung abgeblasen, weil Performencekünstler bei ihrer Show Eier zerbrachen. Er fand, das sei Unfug“. Die bei „Dach 10“ ausgestellten Künstler hingegen gehören allesamt zur weißrussischen Elite. Neben Rodin, Timokhov und Savich sind auch Pavel Kastusik, Alexander Demidov, Alexander Susha, Vitaly Gerasimov und Vassily Kostiuchenko vertreten. In der ersten Ausstellungswoche werden auch Performancekünstler und Literaten zu einem vielseitigen Rahmenprogramm erwartet. ALEXANDRA FRIEDMANN
■ Bis 15. Juni. Kunsthaus Tacheles, Galerie, Goldener Saal und Atelier Rodin