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Archiv-Artikel

Fünf Jahre Knast für den Sicherheitscheck

AKW-Gegner wegen Verrats von „Militärgeheimnis“ verhaftet: Er hatte Sicherheitslücken des Reaktors EPR publiziert

PARIS taz ■ Stéphane Lhomme, Sprecher des französischen Anti-Atom-Netzwerks Sortir du Nucléaire, verletzt regelmäßig das „Verteidigungsgeheimnis“. Was allerdings nichts Besonderes ist: Das macht jeder, der im Atomstaat Frankreich kritische Aspekte der Atomspaltung beleuchtet. Am Dienstag wurde Lhomme das zum Verhängnis: Mitarbeiter des Geheimdienstes DST und der Polizei beschlagnahmten in Bordeaux seinen Computer, sein Handy und seine Unterlagen. Und verhörten ihn einen ganzen Tag lang. Die immer wiederkehrende zentrale Frage: „Wer hat Ihnen das Material zugespielt?“ Lhomme schwieg.

Anlass des Verhörs ist ein neunseitiges Dokument der französischen Elektrizitätsgesellschaft EDF, das den Aufdruck „Militärgeheimnis“ trägt. Darin untersucht die EDF die Risiken „im Zusammenhang mit dem Absturz ziviler Flugzeuge“ auf den so genannten EPR – dem neuen atomaren Druckwasserreaktor Europas, der die alte AKW-Generation ablösen soll. Das Dokument war eine französische Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September in den USA.

Angeblich ist der EPR sicherer als seine Vorgänger, und angeblich produziert er auch weniger Atommüll. Der erste EPR wird gerade in Finnland gebaut, ein zweiter entsteht in der Normandie. Die Hersteller sind mit zahlreichen weiteren Ländern im Gespräch. Sie hoffen, den EPR weltweit verkaufen zu können.

Bereits im November 2003 veröffentlichte das französische Anti-Atom-Netzwerk den geheimen Sicherheitscheck der EDF. Stéphane Lhomme fand das Dokument seinerzeit „in meinem Briefkasten“. Der Anti-AKWler fotokopierte es sofort und warf das Original weg, um etwaige Fingerabdrücke darauf zu vernichten. Er schließt nicht aus, dass einstige Atombefürworter, die verstanden haben, wie gefährlich diese Technologie ist, ihm das Dokument zugespielt haben. Jedenfalls hat er es seither vielfach im Web und auf Flugblättern veröffentlicht und persönlich an den Sitz des Staatspräsidenten, in den Élysée-Palast, getragen. Wohl wissend, dass für Verletzung des „Verteidigungsgeheimnisses“ Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren und Geldstrafen bis zu 75.000 EUR drohen.

Warum die französischen Geheimdienstler erst jetzt – zweieinhalb Jahren später – reagieren, ist unbekannt. Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass der Bau des französischen EPR beginnen soll. Möglicherweise ist auch eine Buchveröffentlichung Schuld: Stéphane Lhomme hatte kürzlich verschiedenste Sicherheitslücken der französischen Atomenergie publiziert – und die trägt Frankreichs Stromversorgung zu mehr als 80 Prozent. Das Buch belegt unübersehbar, dass ein EPR keineswegs so sicher ist wie behauptet – schon gar nicht im Fall, dass ein Passagierflugzeug mit 220 Tonnen Gewicht und großen Mengen Kerosin abstürzt. Wie sagte Lhomme jüngst auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Greenpeace in Paris: „Ein zusätzliches Argument, den EPR nicht zu bauen.“

DOROTHEA HAHN

www.sortirdunucleaire.org