: Aufbruch ganz ohne Karadžić
Einst war Petnica die Heimat serbischer Nationalisten. Doch jetzt werden die Bewohner auch hier wohl für die Unabhängigkeit Montenegros stimmen
AUS PODGORICAERICH RATHFELDER
Miso muss auf seine Freunde warten. Denn die sind noch mit den Vorbereitungen für ihre Fahrt nach Podgorica beschäftigt. Sie wollen am Autokorso für die Unabhängigkeit Montenegros teilnehmen, der am Abend in der Hauptstadt mit den Ansprache des Premierministers enden soll. Der 23-jährige Miso ist nervös. Die roten Flaggen mit dem goldenen Doppeladler sind noch nicht auf die Stangen aufgezogen. Und der Proviant, die Sandwiches mit dem geräucherten Schinken, werden gerade erst von der Mutter zubereitet.
Savnik, ein kleines Bergdorf nördlich von Nikšić, der zweitgrößten Stadt des Landes. Der Ort erlangte für Journalisten einige Bedeutung, weil man von hier aus nach Petnica, dem Heimatdorf des ehemaligen Führers der bosnischen Serben, Radovan Karadžić gelangen kann. Mächtige und noch von Schnee bedeckte Berge umrahmen das über 1.000 Meter hoch gelegene Tal, das lange als Nest radikaler serbischer Nationalisten galt. Miso lächelt. „Das gilt heute nicht mehr. Wir jungen Leute haben die Schnauze voll von dieser alten Politik. Die meisten Leute hier werden für die Unabhängigkeit Montenegros stimmen, selbst in Petnica.“ Er deutet in die Runde. „Siehst du da hinten, das war mal eine Fabrik, und das sind noch die Blocks der Arbeiter.“ Die Fabrik sei bankrott, und Arbeit gebe es keine mehr. Nur er selbst habe einen Job, er sei Polizist. Alle seine Freunde aber seien arbeitslos. „Wir müssen endlich wieder auf die Beine kommen. Wir wollen arbeiten und besser leben. Und unser Land modernisieren. Wir wollen nach Europa. So, wie es jetzt ist, mit Serbien zusammen, geht es nicht mehr weiter.“
Endlich kommen die vier Freunde, alle zwischen 20 und 23 Jahre alt. Sie lachen und schwenken die Fahnen. Der alte Renault ist voll getankt, und los geht es. Eine Runde durch den Ort muss noch gedreht werden. Die Leute winken den jungen Männern zu, die endlich auf die Straße nach Nikšić einbiegen. Mit Gehupe geht es in das nächste Dorf. Hinter dem Wagen hat sich eine Schlange gebildet. Kurz vor Nikšić sind es so viele Autos geworden, dass nur noch stop and go vorwärts zu kommen ist. Schließlich bewegt sich der Korso in langsamer Fahrt durch eine schöne Berglandschaft Richtung Hauptstadt, überall stehen Menschen an der Straße und winken den Vorbeifahrenden zu.
In Podgornica zieht es Miso und seine Freunde in das beste Café der Hauptstadt im Hotel Crna Gora. Bei Bier und Kaffee wird die Zahl der vorbeiziehenden Massen taxiert. „Hunderttausend sind das bestimmt“, lacht Freund Radovan glücklich. Später wird die Polizei von 50.000 sprechen, die auf dem zentralen Platz der Stadt an diesem Donnerstagabend noch Stunden ausharren mussten, bis der 44-jährige Premier Milo Djukanović endlich vor die Mikrophone trat und die Bevölkerung aufforderte, am Sonntag mit Ja zu stimmen.
In seiner Rede beschwört Djukanović die freiheitliche Vergangenheit Montenegros, den jahrhundertelangen siegreichen Kampf gegen die Türken, das Königtum, den antifaschistischen Widerstand. „In Montenegro können alle, ob Montenegriner, Serben oder andere Minderheiten friedlich leben“, ruft er der Menge zu. Der Wunsch nach Unabhängigkeit sei nicht gegen jemand anderen gerichtet, sondern für etwas, für die Freiheit des Landes und seiner Menschen, für die Integration in die EU. Miso und seine Freunde applaudieren.
In der Person Djukanović spiegelt sich die Geschichte der letzten 15 Jahre. Als junger strebsamer Mann gelangte er in die Politik, wurde Kommunist und als 29-Jähriger von Serbiens Expräsident Slobodan Milošević 1991 ins Präsidentenamt Montenegros gehievt. Damals beschlossen beide Republiken, gemeinsam das Erbe des schon zerstörten Jugoslawien anzutreten. Montenegrinische Truppen nahmen unter Führung von Djukanović an dem Angriff auf das kroatische Dubrovnik teil. Doch schon bald kam es zum Zerwürfnis zwischen ihm und Milošević. Djukanović zog 1992 die montenegrinischen Truppen aus Bosnien zurück. Und trat für den Sturz von Milošević ein.
Djukanović habe dazugelernt, sagt Miso, und das mache ihn zum großen Politiker. Die serbische Politik aber habe sich nach dem Sturz Milošević’ nicht verändert. Die Freunde sitzen wieder im Café und diskutieren die Chancen für das Referendum. Und der Polizist Miso fürchtet ein bisschen, dass die serbische Führung ihre Bataillone losschicken könnte. „Immerhin haben die immer noch die Armee, die Geheimdienste und die Kirche auf ihrer Seite“, sagt einer. „Heute sind die Proserben in ihren Wohnungen geblieben, am Tag zuvor waren sie aber auf der Straße und konnten viele Leute mobilisieren.“ Dass dabei T-Shirts mit Karadžić auftauchten, lässt die Freunde schmunzeln. Das sei nicht die Zukunft, sondern die Vergangenheit.
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