: Miss Germany
Mit cleveren CD-Compilations hat sich die Bremer DJane Gülbahar Kültür einen Namen gemacht. Auf dem „Made in Germany“-Sampler zeigt sie ihr Land so, wie sie es gern hätte: bunt und weltoffen
Von CHRISTIAN RATH
Gülbahar Kültür ist so etwas wie eine Bilderbuchmigrantin. Aufgewachsen in Istanbul, kam sie 1979 als 14-Jährige nach Bremen, lernte dort Anwaltsgehilfin, studierte Germanistik, arbeitete als Journalistin und Übersetzerin, brachte Lyrikbände heraus, engagierte sich in der Frauenbewegung, kandidierte für die Grünen zur Bürgerschaft und trat wegen des Kosovokriegs wieder aus der Partei aus. In Bremen ist sie eine lokale Berühmtheit: Sie arbeitet beim Radiosender Funkhaus Europa und schrieb früher öfter für die Bremer Lokalausgabe der taz.
Überregional bekannt geworden ist Gülbahar Kültür aber nun durch die Compilation-Reihen, die sie unter ihrem Namen herausbringt. Denn Gülbahar Kültür, man glaubt es kaum, ist kein Künstlername, sondern steht tatsächlich auch in ihrem Pass. Ihr Vorname bedeutet so viel wie Rosenfrühling, und Kültür heißt auf Türkisch schlicht Kultur. „So ein Name verpflichtet natürlich“, sagt Frau Kültür.
Am umfangreichsten ist bislang ihre „Garden“-Serie geraten, die mit der „Oriental Garden“-Trilogie begann und Musik aus großen Regionen zusammenbringt. Und in ihrer „Made in“-Serie stellt sie Musik aus einzelnen Ländern vor, zum Beispiel aus der Türkei, aus Griechenland oder Indien.
Wie viele Radio-DJs, ärgerte sie sich oft über die Qualität vieler Weltmusik-Sampler und bastelte im Kopf an viel besseren Zusammenstellungen. Klar, dass sie sich freute, als die kleine Plattenfirma Clubstar aus Bergisch Gladbach anfragte, ob sie nicht eine Weltmusik-Compilation zusammenstellen wolle. Natürlich wollte sie! Gleich das erste Projekt „Oriental Garden“ mit seinen türkischen, indischen und arabischen Tracks schlug mit mehr als 10.000 verkauften Exemplaren prächtig ein. Also bat Clubstar um mehr. Seit rund drei Jahren arbeitet Gülbahar Kültür nun mit dem Clubstar-Tochterlabel „Lola’s World“ zusammen, und inzwischen hat sie rund 15 Doppel-CDs herausgebracht.
Clubstar-Eigner Ufuk Kilic, auch er ein Deutschtürke, kommt eigentlich aus der elektronischen Szene. Er arbeitete bis 2003 beim Mainstream-Techno-Label „More Music“ in Köln, bevor er sich mit Clubstar selbstständig machte, um anspruchsvollere House-Alben zu produzieren. Das Unterlabel „Lola’s World“ war anfangs für Kilic nur eine Spielwiese. Inzwischen bringt es aber fast 40 Prozent der Umsätze seiner Clubstar-Gruppe. „Lola’s World“ hat sich schnell auf dem Markt etabliert, weil es trotz seiner Massenproduktion stets für einen erfreulichen Qualitätsstandard bürgt. Gerade in Medienketten wie Saturn laufen die bunten Sampler gut, zumal sie als Doppel-CDs mit rund 20 Euro recht günstig sind.
Die oft sehr poppige Gestaltung schreckt aber auch manche Kunden ab. Besonders kitschig etwa fiel das Cover von „Gypsy Garden“ aus, das die perfekte Klischee von Zigeuneridylle zeigt: Schöne Menschen in bunten Kleidern musizieren in der Abendsonne. Solche Ausrutscher sind aber die Ausnahme, und die Alben weisen inzwischen auch ordentliche Linernotes auf. Bei der Auswahl hat Gülbahar Kültür völlig freie Hand. Ihre Kompilationen sind originell, suchen das Innovative und sind bei aller Vielfalt dennoch meist gut durchhörbar: Das muss ihr erst mal jemand nachmachen. Zumal Gülbahar Kültür eine fleißige Songsammlerin ist: Allein im letzten Jahr hat sie sieben Doppel-CDs zusammengestellt.
Gerade ist ihre Compilation „Made in Germany“ erschienen: „The world of German Grooves“ lautet der Untertitel. Auf dem Cover sieht man Menschen, die vor dem Brandenburger Tor und der Frankfurter Skyline Musik machen. Ihre Silhouetten sind in Schwarz-Rot-Gold gehalten, aber dezent. Deutsche Autobahnen zeigen, dass das Land unterwegs und dynamisch ist.
Nehmen wir mal an, ein Fußballfan aus Brasilien, Spanien oder Australien, der zur WM nach Deutschland kommt, stößt im Plattenladen auf der Suche nach einem Souvenir auf diesen Sampler: Was wird er dort hören? Viel Reggae, denn jeder zweite Song tönt im Offbeat, als wäre dieser Rhythmus eine Erfindung aus Deutschland; selbst Nena steuert einen entspannten Reggae bei. Die Hiphop-Szene ist mit den Fantastischen Vier, Curse und Blumentopf auch gut vertreten ist, daneben Weltmusik-Kapellen wie die Dissidenten, die Grine Kuzine und die 17 Hippies aus Berlin. Ganz ausgeblendet wird dagegen jenes Deutschland, das so brachial wie Rammstein oder so technoid-steril wie Sven Väth rüberkommt. „Made in Germany“ malt ein warmes und sinnliches Bild dieses Landes und seiner Musik: Ey, bist du Deutschland?
Auf „Made in Germany“ hat Gülbahar Kültür das Land, in dem sie lebt, so dargestellt, wie sie es gern hätte: bunt, lässig und offen für die Dancefloor-Kulturen der Welt. Klar war das Deutschlandprojekt etwas Besonderes für sie. Denn wenn sie Musik aus der Türkei zu einem „Oriental Garden“ zusammenstellt, wird ihre Auswahl sofort als fachkundig akzeptiert. Wenn sie aber einen Sampler mit Musik aus Deutschland produziert, dann ist das so, als wenn – um beim Fußballvergleich zu bleiben – ein Deutschtürke die deutsche Nationalmannschaft aufstellen würde.
Vielleicht war sie deshalb bei der Auswahl der Tracks ein bisschen weniger subjektiv als sonst. Doch ihre Autorinnenhandschrift bleibt trotzdem klar erkennbar: Zum Scherz hat sie es sich beispielsweise erlaubt, Freddy Quinns rührseligen Gastarbeiterschlager „Istanbul ist weit“ mit auf den Sampler zu nehmen. Oder Hildegard Knefs elegantes „Für mich soll’s rote Rosen regnen“, das von Extrabreit mit stumpfem Beat zerstört wurde.
Schon jetzt plant Gülbahar Kültür eine zweite Ausgabe von „Made in Germany“. Dann soll zum Beispiel auch die Musik der türkischen Community in Deutschland mehr Raum bekommen. Denn auf dem aktuellen Sampler ist lediglich Selma Mutlu mit dem Bremen Immigrant Orchestra zu hören.
Wenn Kültür neue CDs begutachtet und Musik für ihre Radiosendungen auswählt, hat sie stets die Planungen für mehrere neue Sampler im Hinterkopf. Im Herbst soll zum Beispiel „Made in Persia“ erscheinen, eine Compilation mit moderner Musik aus dem Iran, an der sie mehr als eineinhalb Jahre plante.