: Menschen jagen mit Mercedes
VON HANNES KOCH
Aus den Schießscharten des gepanzerten Mercedes-Transporters spucken die Mündungsfeuer von acht Maschinengewehren. Wenn die brasilianische Spezialpolizei Drogenhändler in den Slums von Rio de Janeiro jagt, spielen zivile Opfer keine Rolle. Einwohnern, die sich nicht rechtzeitig verstecken, kann es ergehen wie dem elfjährigen Carlos Henrique. Bei einer Razzia im Elendsviertel Vila do João traf ihn im vergangenen Juli eine Kugel in den Kopf. Sie wurde aus einem Polizeipanzer abgefeuert.
Elf Personen kamen allein zwischen Mai und September 2005 auf diese Art ums Leben, sagt Katharina Spieß von amnesty international. Die Menschenrechtsorganisation hat Augenzeugenberichte gesammelt und eine Kampagne gegen die Polizeigewalt in Rio gestartet.
Amnesty international wirft DaimlerChrysler vor, dessen Produkte würden benutzt, um Menschenrechte zu verletzen. DaimlerChrysler verstoße gegen eigene und internationale Standards, denn der Konzern hat offiziell unterschrieben, alles zu tun, dass so etwas nicht passiert. DaimlerChrysler ist Mitglied im Globalen Pakt der Vereinten Nationen. Eins der Prinzipien des Vertrages verlangt, „dass Ihr Unternehmen sich nicht an Menschenrechtsverletzungen beteiligt“. Bürgerrechtsorganisationen und Gewerkschaften fordern – so wie amnesty von DaimlerChrysler – auch von anderen Konzernen, die grundlegenden Menschen- und Arbeitsrechte nicht nur theoretisch zu akzeptieren, sondern sie auch praktisch einzuhalten.
„Totenschädel“ heißen die schwarz gestrichenen Panzerfahrzeuge von Rio de Janeiro im Volksmund. Von einem Schwert durchbohrt ziert der Totenkopf das Wappen des „Bataillons für Spezialoperationen“ (Bope) der Polizei von Rio de Janeiro. Bope-Kommandeur Venâncio Moura beschreibt die Tätigkeit seiner Truppe so: „Wie operieren wie in einem konventionellen Krieg: Die Panzer fahren voraus, die Infanterie umzingelt den Feind.“ Einwohner der Favelas berichten, dass die Lautsprecher der Panzerwagen im Einsatz verkünden: „Wir kommen, um eure Seelen zu holen.“
Mit einem Foto von einem „Totenschädel“-Fahrzeug – im Brasilianischen „Caveirão“ genannt – dokumentiert amnesty, dass die Spezialpolizei Produkte von DaimlerChrysler verwendet. Der Mercedes-Stern am Kühler des Panzerwagens ist deutlich zu sehen. In ihrem Brief an DaimlerChrysler-Direktor Michael Inacker schreibt die Menschenrechtsorganisation, dass „Fahrgestelle von Mercedes-Benz noch immer in Caveirãos der Polizei von Rio de Janeiro benutzt werden“.
Die Recherchen von amnesty international haben ergeben, dass Mercedes-Fahrzeuge von der brasilianischen Firma TCT Blindados zu Polizeipanzern umgebaut worden seien. Auf der Internetseite von TCT, die mittlerweile nicht mehr erreichbar ist, waren bis vor wenigen Tagen Bilder von Panzerwagen mit den Emblemen von Mercedes und Ford zu sehen. Amnesty fordert von DaimlerChrysler, man solle sich bei der Polizei von Rio de Janeiro und der Firma TCT Blindados dafür einsetzen, dass keine Mercedes-Produkte benutzt würden, um „wahllos zu töten“.
„Wir haben festgestellt, dass die Polizei von Rio de Janeiro ein solches Fahrzeug mit einem Mercedes-Benz-Fahrgestell besitzt“, schreibt DaimlerChrysler-Direktor Inacker an amnesty in seiner Antwort, die der taz vorliegt. Wie der Panzerwagen dorthin geraten sei, wisse man aber nicht. Weder habe DaimlerChrysler der Polizei von Rio derartige Fahrzeuge verkauft noch der Firma TCT Blindados eine Lizenz für entsprechende Umbauten erteilt, erklärt Inacker weiter. Das brasilianische Unternehmen habe nur die Genehmigung, Mercedes-Lkw zu „Wertguttransportern“ umzugestalten.
Gegenüber der taz erklärte die DaimlerChrysler-Zentrale in Stuttgart, TCT Blindados habe versichert, keine Mercedes-Transporter zu Polizeipanzern umzubauen. Deswegen gebe es keine Veranlassung, dem brasilianischen Unternehmen die Lizenz zu entziehen, wohl aber habe man die Verwendung des Mercedes-Logos auf den Zeichnungen der Panzer untersagt.
„Diese Reaktion ist unbefriedigend“, sagt amnesty-Mitarbeiterin Katharina Spieß. Die Menschenrechtsorganisation ermahnt den Konzern, „mehr zu tun, als TCT aufzufordern, das Mercedes-Logo von der Internetseite zu nehmen“. Als „Mitglied des Globalen Paktes der Vereinten Nationen“ müsse das Unternehmen sicherstellen, dass es „nicht mitverantwortlich ist für Menschenrechtsverletzungen“.
Über 2.500 Unternehmen weltweit erkennen mittlerweile die zehn Prinzipien des Globalen Paktes an. Die Mitgliedsfirmen, darunter 67 aus Deutschland, haben unter anderem unterschrieben, Kinder- und Zwangsarbeit in ihrem Einflussbereich abzuschaffen, das Recht der Beschäftigten auf freie Lohnverhandlungen zu respektieren, die globale Umwelt zu schützen und Korruption zu unterlassen.
Gerade die großen Konzerne wie Allianz, BASF, Deutsche Bank oder Siemens nehmen diese Verpflichtungen durchaus ernst. Imagekatastrophen wie beim Ölkonzern Shell, der 1995 die Bohrinsel Brent Spar einfach im Meer entsorgen wollte, oder beim Sportartikelhersteller Nike, der Kinderarbeit in seiner Produktionskette in Asien zuließ, haben die Manager vorsichtig gemacht. Ethische Unternehmensführung, so hat man gelernt, hilft, den Gewinn zu steigern. Auch deshalb verkauft die Allianz Lebensversicherungen an arme Bauern in Indien, vergibt die Deutsche Bank Kleinkredite in Entwicklungsländern und kümmert sich die BASF darum, ihre Emissionen zu reduzieren.
Auch DaimlerChrysler hat an seinem Profil als sozial verantwortliche Firma gearbeitet. Dem ehemaligen DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp wurde im November 2004 der Bambi verliehen. Schrempp erhielt den begehrten Medienpreis des Burda Verlages zusammen mit Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela für die gemeinsamen Anstrengungen gegen Aids. DaimlerChrysler finanziert seinen südafrikanischen Arbeitern medizinische Vorbeugung, Untersuchungen und Arzneimittel.
So erwecken viele Prospekte und Internetseiten inzwischen den Eindruck, bei den Konzernen sei alles in Ordnung. Volkswagen-Manager Reinhold Kopp hegte daran offenbar Zweifel, als er unlängst vor dem Managerkreis der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung sagte: „Unternehmensverantwortung ist oft noch nicht in die Geschäftsprozesse integriert.“
Der türkische Arbeiter Murat Cangut aus Izmir hat genau das erlebt. Am 2. März 2006 wurde der 37-jährige Cangut zusammen mit fünf Kollegen von seinem deutschen Arbeitgeber, dem Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen AG, entlassen. In der ZF-Niederlassung in Izmir habe die linke türkische Gewerkschaft Birlesik Metal-Is zuvor 75 von 127 Beschäftigten als neue Mitglieder gewonnen, berichtet Birlesik-Funktionär Hasan Arslan der taz. Als Reaktion auf die Organisierung habe die Geschäftsleitung in Izmir die Beschäftigten zunächst aufgefordert, die Gewerkschaft wieder zu verlassen, und dann die Kündigungen verfügt, berichtet Hasan Arslan.
„Mit Aktivitäten der Gewerkschaft haben die Entlassungen nichts zu tun“, schreibt dagegen ZF-Arbeitsdirektor Karl-Josef Hüter in einem Brief, der der taz vorliegt. An die Adresse von Birlesik Metal-Is erklärt Hüter, ZF habe erst kurz nach den Kündigungen von den Gewerkschaftsaktivitäten erfahren. Die sechs Beschäftigten seien entlassen worden, weil sie schlechte Leistungen erbracht hätten, heißt es in Hüters Schreiben weiter.
Mit dem Hinweis, dass die angeblich schlechten Leistungen der ZF-Arbeiter in Izmir vor deren Kündigung niemals ein Thema gewesen seien, hat sich Birlesik-Funktionär Arslan inzwischen an Klaus Priegnitz vom Vorstand der IG Metall in Frankfurt am Main gewandt. „Das Verhalten von ZF ist sehr bedenklich“, sagt Priegnitz. Am vergangenen Mittwoch hat er DaimlerChrysler gebeten, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Weil ZF aus Izmir DaimlerChrysler mit Teilen für die Autoproduktion beliefert, ist der Stuttgarter Konzern nach den Regeln des Globalen Paktes für die Geschehnisse in der Türkei mitverantwortlich. Ob DaimlerChrysler gegen das dritte Prinzip des Paktes – die Garantie der Koalitionsfreiheit –verstößt, prüft nun zunächst der Betriebsrat in Stuttgart. Dann will die Arbeitnehmervertretung Konzernvorstand Dieter Zetsche zur Intervention bei ZF auffordern. „Fälle wie bei ZF haben wir derzeit in der Türkei leider häufig“, heißt es beim Gesamtbetriebsrat.
Die Ignoranz gegenüber fundamentalen Arbeitnehmerrechten ist freilich nicht auf die großen Konzerne beschränkt. Auch aus dem in Izmir ansässigen Werk des deutschen Windanlagenherstellers Enercon berichtet die türkische Metallgewerkschaft über Probleme. Dort habe die Geschäftsleitung die Beschäftigten ebenfalls aufgefordert, aus der Gewerkschaft auszutreten, weiß Birlesik-Mitarbeiter Arslan. Fünf Arbeiter, darunter ein vom Arbeitsamt vermittelter Schwerbehinderter, seien inzwischen entlassen worden, so Arslan. Die Anfrage der taz ließ Enercon-Chef Aloys Wobben mit einem Satz beantworten: „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir zu dem Thema keine Stellungnahme abgeben.“
Beschwerden gegen deutsche Unternehmen sind keine Einzelfälle. So werfen die in der „Kampagne für saubere Kleidung“ zusammengeschlossenen Bürgerrechtsorganisationen dem Sportartikelhersteller Adidas aus Herzogenaurach vor, dass Zulieferer aus Lateinamerika und China die Rechte der Beschäftigten missachten. Adidas weist die Anschuldigungen zurück. Die „Kampagne gegen Bayer-Gefahren“ kritisiert, der Pharmakonzern aus Leverkusen dulde Kinderarbeit bei der Züchtung von Baumwollsaatgut in Indien. Mit seinem Programm „Glückliche Ernte“ versucht Bayer nun, die Kinder statt aufs Feld in die Schule zu schicken.
Die Diskrepanz zwischen den rechtlichen Standards und dem tatsächlichen Handeln der Unternehmen hat seit Beginn der neuen Globalisierung Mitte der 80er-Jahre zugenommen. „Die Konzerne haben ihren Spielraum erweitert“, sagt Christoph Scherrer, Politikprofessor an der Universität Kassel. Während die transnationalen Firmen weltweit investierten, sei die regulierende Gesetzgebung oft noch an nationale Grenzen gebunden. „Es ist zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen Unternehmen und Politik gekommen“, so Scherrer.
Andrew Clapham, Professor für Internationales Recht in Genf, erkennt daher „ein Defizit bei der Regulierung transnationaler Konzerne“. Der Globale Pakt der Vereinten Nationen sei ungeeignet, die Lücke zu schließen, so Clapham. Als freiwilliger Zusammenschluss von Unternehmen habe er nicht die Macht, rechtlich bindende Standards aufzustellen.
Im Mittelpunkt des Paktes steht zwar, dass Firmen voneinander sozialverträgliches Verhalten lernen, doch es gibt keinen Hinweis auf die Durchsetzung von Verhaltensregeln. Ganze acht Beschwerden gegen eine der 2.500 Mitgliedsfirmen hätten Unternehmen oder Bürgerrechtsorganisationen im vergangenen Jahr vorgebracht, sagt Matthias Stausberg, Sprecher des Globalen Paktes. Die Klagen über Panzerwagen von DaimlerChrysler in Rio de Janeiro oder die Entlassungen in der Türkei sind im New Yorker Hochhaus der Vereinten Nationen noch nicht bekannt. Der eigentliche Streit über die Unternehmenspolitik transnationaler Konzerne spielt sich woanders ab.
Um Unternehmen durch Drohung mit Imageschaden unter Druck zu setzen, planen Bürgerrechtsorganisationen lieber öffentliche Kampagnen. Oder sie ziehen vor eine der „nationalen Kontaktstellen“, die es seit 2000 in jedem der 30 Mitgliedsstaaten der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gibt.
Acht Beschwerdeverfahren wegen Verstoßes gegen die OECD-Leitsätze für transnationale Unternehmen haben Bürgerrechtsgruppen und Gewerkschaften bei der Kontaktstelle im Bundeswirtschaftsministerium bislang angestrengt – unter anderem gegen Adidas, den Reifenkonzern Continental und das Pharmaunternehmen Bayer. Doch diese Beschwerden würden kaum etwas ausrichten, sagt Cornelia Heydenreich von Germanwatch: „Das Wirtschaftsministerium setzt die Richtlinien der OECD zu wenig gegen die Unternehmen durch.“
Wegen ihrer mangelhaften Personalausstattung mit nur zwei Mitarbeitern habe die Kontaktstelle keine Möglichkeit, die fraglichen Fälle durch eigene Recherchen aufzuklären und könne deshalb nur unbefriedigende Ergebnisse erreichen, so Heydenreich. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) dagegen „sieht in dem Prinzip der Freiwilligkeit für multinationale Unternehmen den richtigen Ansatz“. Auch in Zukunft werde man „nach Lösungsmöglichkeiten im Dialog mit den Investoren und den Beschwerdeführern suchen“, erklärte das Ministerium gegenüber der taz.
„Wir haben es mit einem Defizit des politischen Willens der Nationalstaaten zu tun, auch der Bundesregierung“, sagt Norman Paech. Der emeritierte Professor für Öffentliches Recht an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik sitzt für die Linkspartei im Bundestag. Mit Blick auf die Leitsätze der OECD für transnationale Unternehmen und die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) argumentiert er, dass das rechtliche Instrumentarium durchaus vorhanden sei, „um die Konzerne einzuhegen“, man müsse es auf nationaler oder europäischer Ebene aber auch anwenden. Paech schlägt vor, internationale Verhaltensstandards im deutschen oder europäischen Recht zu verankern und damit vor einheimischen Gerichten durchsetzbar zu machen. Dass Enercon, DaimlerChrysler, ZF oder Adidas im Ausland Arbeitsrechte missachten, könnte dann in Deutschland Verfahren nach sich ziehen – im Gegensatz zu heute.
Ausländische Beschäftigte deutscher Konzerne sollten außerdem Klagerecht vor hiesigen Gerichten bekommen, schlägt der Genfer Jurist Andrew Clapham vor. Der entlassene ZF-Arbeiter Murat Cangut aus Izmir könnte dann am Hauptsitz der Firma in Friedrichshafen in Baden-Württemberg klagen.
Die Bundesregierung weist derartige Forderungen zurück. „Wir sehen in Deutschland kein Regelungsdefizit“, heißt es im Hause von Wirtschaftsminister Glos. Karin Kortmann, SPD-Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit sagt zwar: „Bei der Durchsetzung der internationalen Regeln hapert es.“ Doch an Konsequenzen traut sie sich nicht heran. Zunächst will sie die Erfahrungen mit dem Globalen Pakt „evaluieren“.
Nicht nur die Politik, auch die Justiz steht auf der Bremse. Schon im Jahr 2002 hat Deutschland das so genannte Völkerstrafgesetzbuch eingeführt. Dieses stellt Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe, die im Ausland verübt werden. Jurist Norman Paech zufolge müssten nach diesem Gesetz auch deutsche Unternehmen belangt werden, wenn sie nicht verhinderten, dass ihre Produkte zur Verletzung der Menschenrechte missbraucht würden. In Sachen Mercedes-Panzerwagen „könnte Generalbundesanwalt Kay Nehm also ermitteln“, sagt der Völkerrechtler. Bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe weiß man allerdings nichts über die amnesty-Vorwürfe gegen DaimlerChrysler: „Ein derartiges Verfahren führen wir nicht.“
Mitarbeit: Gerhard Dilger
web.amnesty.org/library/Index/ENGAMR190072006?open&of=ENG-2AM